Kleingeld klappert. Klick. Zisch. Spritz. Schluck, schluck… schluck …..
… schluck. Jetzt wird die leere Dose noch zerdrückt, natürlich mit einer Hand unter den lautstarkem Zuspruch der deutlich abgeheiterten Freunde. Dann fix ein Shot dazwischen. Kopf in Nacken. – Weg damit!
Vor meinem Fenster frönt die Dosenbierliebhaberschaft ihrem schnellen Rausch. Sie pissen in jede Ecke, gröhlen, taumeln, kotzen.
Und ich? Ich bin dem hilflos ausgeliefert. Was soll man auch machen, wenn man mitten in dem Stadtteil wohnt, in dem so exzessiv gefeiert wird? Viele fahren weg übers Wochenende, retten sich in ruhige Gefilde. Ich nicht.
Nicht dass ich es nicht in Erwägung gezogen hätte, aber es stehen Termine an die Tage. Also bleibe ich aus Pflichtbewusstsein. Allerdings habe ich mich entschieden dieses Jahr die BRN zu boykottieren . Meinem zwiegespaltenen Bericht vom letzten Jahr (www.mylifemychoice.de/2016/06/21/bunte-republik-neustadt/) – ich erlebte zwar einen tollen Sonntag voller Kultur, aber war erschrocken über die radikale Kommerzialisierung des Festes – folgte eine ausführliche Reflektion mit dem Ergebnis des konsequenten Boykotts für dieses Jahr.
Warum?
Für die erste provisorische Regierung der BRN waren – Zitat aus der Präambel zur (Un)verfassung der BRN 1990: „gewinnorientierte Mieten, Gewalt, Sperrstunden, Reklame, Wohlstandsdenken, Konsumfetischismus, Umweltzerstörung usw.“noch „ziemlich ekelhaft“.
Genau diese “ekligen Dinge” zelebriert die Bunte Republik Neustadt nun aber bereits seit langem, kaum bis gar nicht mehr von kritischen Stimmen hinterfragt.
Aber ich möchte es nicht verschweigen: Es gab über die Jahre durchaus immer mal Widerstand gegen das Kommerzevent. Man schaffte vermehrt eben nichtkommerziellen Stände, politischen Aktionen, kulturelle Angebote, Umzüge etc. Doch sie gingen meist unter, wurden mehr und mehr verschlungen vom herzlosen, geldgeilen Volksfestcharakter. (vgl. Umsonstladen)
Doch das einstige Szeneviertel ist halt im Wandel und das zeigt sich eben auch an solch einer Festivität. Hier stören sich jetzt AnwohnerInnen an Wohnungslosen vor ihren Hauseingängen oder schicken Tiefgaragen, aber rassistische Diskriminierung kann weitgehend offen gelebt werden.
Junggesellinnenabschiede können Menschen sexistisch anpöbeln und rassistische Türkontrollen in den Clubs stattfinden. Aggressive Dynamohools ziehen fast jedes Wochenende durch die Neustadt. Erst letzte Woche schlugen Nazis auf einen Punk in der Alaunstraße ein. – Niemand griff helfend ein.
Aber Pegida zieht weiter jede Woche Ängste schürend mit ihrem Hass durch die Straßen der Innenstadt. Nazis, die der NPD nahe stehen, spazieren schön am BRN-Samstag durch einen Dresdner Stadtteil, während hier alle feiern in den Ruinen eines einst schönen Traumes.
Und als ob das noch nicht reicht, obendrein die stetigen Personalienfeststellungen im Kiez durch die Staatsmacht, wenn Menschen die Füße am Assieck auf die Straße legen oder eine dunklere Hautpigmentierung haben, denn ja, das alleine reicht schon. Überall Kameras, alltägliche Verdachtskontrollen, rassistische Securitys. – Es ist ein Trauerspiel.
Die einst Aufsässigen haben den Studenten und Kreativen und diese wiederum den Besserverdienenden Platz gemacht. – So wie Gentrifizierung eben abläuft. Bezahlbarer Wohnraum existiert kaum mehr.
Nun gibt es die BRN betreffend immer mehr Schikane seitens der Ämter die Genehmigungen von Ständen betreffend. Ganze Straßenzüge sind leer dieses Jahr, in den meisten Straßen nur alle traurige 50-80m noch ein vereinzelter Stand.
Hier Fotos von einigen der Straßen MITTEN während des Festes – Sonntag früher Nachmittag !
Viele meinen nun, dass das alles nur Strategie sei, um den Weg für einen Gesamtveranstalter zu ebnen. Und bei den Vermutungen um wen es sich handelt, sind sich auch alle einig: ein Mann, der jetzt bereits eng mit dem Ordnungsamt zusammenarbeitet.
Ja, das würde denen ja noch passen – gleich die ganze BRN übernehmen. Ja alles kontrollieren und damit dem Fest den Hauptcharakter nehmen, den letzten Todesstoß geben. Aber wer wehrt sich hier dagegen? Niemand. Werden Stände nicht genehmigt, bleiben sie halt weg. Hier kriegt halt keiner den Arsch hoch.
Also bekommen die desinteressierten AnwohnerInnen oder zugezogenen Yuppies schlussendlich genau die „Bunte Republik“, die sie verdienen – oberflächlich, unpolitisch, inhaltsleer und versoffen.
Zum Glück gibt es noch zaghafte und auch weniger zaghafte Bestrebungen an den Umständen im Stadtteil etwas zu ändern. So entstand erst letztes Jahr ein anarchistisches Infocafé in der Kamenzer Straße und prägte wirklich spürbar die Stimmung im Viertel. Und immer wieder merke ich: Das malobeo ist hier in aller Munde mittlerweile.
Sie fahren ein großartiges Konzept und es geht auf. Viele Menschen nutzen täglich dankbar die Angebote – gehen zu den Filmabenden, freuen sich auf das leckere, vegane (meist Soja-freiem) Küfa-Essen, holen sich Nahrungsmittel aus dem Foodsharing oder stöbern im neu errichteten “Schränk”, in dem man Dinge los werden kann, die man selbst nicht mehr benötigt, die aber anderen eine Freude machen (gleich dem “El Tauscho” im Hechtviertel). Oder sie erholen sich in den Räumlichkeiten bei einem geliehenen Buch aus der eigenen kleinen Bibliothek.
Sie versuchten sogar ein eigenes Straßenfest zu initiieren (eine Woche vor der BRN), was aber an mangelnder Anwohnerbeteiligung scheiterte. Sehr traurig, aber auch typisch und fast vorhersehbar. Und die Idee scheint wohl auch nicht komplett ad acta gelegt worden zu sein.
So oder so hoffe ich wirklich inständig, der Laden kann sich noch lange halten. Auch ich fühle mich recht wohl hier, sitze öfter davor und schnatter mit Freunden und Bekannten aus dem Kiez, so wie auch diese BRN, denn der Laden liegt außerhalb des Festgeländes. Zudem gibt es dieses Wochenende vegane Mettbrötchen, leckeren selbstgemachten Eistee auf Spendenbasis und Halleluja: KEINEN ALKOHOL!
Was nun die BRN angeht, möchte ich mich, wie öfter in diesem Beitrag, der Meinung des ortsansässigen Umsonstladens anschließen:
“Solange Gewerbetreibende bei der Genehmigung von Ständen Vorrang vor Anwohner_innen haben, solange selbst Menschen, die sich spontan mit einer Gitarre auf die Straße stellen, GEMA-Gebühren entrichten müssen und Kinder mit Bauchläden von Kontrolleur_innen des Ordnungsamtes nach ihrer Anmeldung gefragt werden, solange Sondernutzungsgebühren für den Straßenraum und Bearbeitungsgebühren im Spiel sind, ist es nicht unser Fest. (…)
Zwischen den Ruinen des Normalen wächst die Utopie – und Freiräume können nur dort entstehen, wo keine kommerziellen Zwänge existieren, wo sich Menschen abseits von Hierarchien organisieren und engagieren und sich rebellisch gegenüber Verwaltungsvorschriften und behördlicher Repression zeigen.”
Warst Du schon auf der BRN oder hast sogar den Wandel aktiv miterlebt?! Dann kommentier los! Ich würde mich sehr über Deinen persönlichen Erfahrungsbericht freuen.
Vielen Dank :*
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9 Kommentare auf "Scheisz BRN !"