Für mein Verständnis einer offenen, libertären Gesellschaft sind quasi IMMER „Wochen gegen Antisemitismus“ Programm. Nun fanden tatsächlich die sogenannten „Aktionswochen gegen Antisemitismus“ statt und das bereits zum zum 14. Mal.
Noch nie was von gehört?! Habe ich auch nicht!
Also soviel dazu:
Diese bundesweit größte Kampagne gegen Antisemitismus wurde in der Vergangenheit allein von der Amadeu Antonio Stiftung organisiert. Dieses Jahr fanden die Aktionswochen erstmals in Kooperation mit dem Anne Frank Zentrum statt. Klingt in meinen Ohren nach einem vielversprechenden Zusammenschluss! Organisationen und Initiativen in ganz Deutschland nahmen an diesen poltischen Aufklärungswochen teil. Im Rahmen dieser Kampagne fanden bis zum 7. Dezember Workshops, Konzerte, Jugendbegegnungen, Gebäudeprojektionen und weitere Veranstaltungen statt.
Doch wie kommt man nur zu diesen spannenden Veranstaltungen?! Ich für meinen Teil bekam eine Stadtführung durch mein Dresdner Viertel – die Neustadt – geschenkt und kam so zur Herbert Wehner Stiftung und erfuhr dadurch wiederum von einer Bildungsreise nach Auschwitz und Krakau, die ich sogleich buchte.
Unabhängig davon fragte mich meine langjährig beste Freundin nun wenige Tage nach der Buchung, ob ich sie etwas zeitiger zu ihrer Geburtstagsfeier besuchen möchte, um sie zu einer historischen Stadtführung durch Döbeln begleiten zu können. Selbstredend sagte ich zu! – Ich bin ja schließlich geschichtlich interessiert [besonders an der Antike, aber man nimmt was man bekommt 😉 ].
Ohne mein Wissen befand ich mich nun inmitten dieser ominösen „Wochen gegen Antisemitismus“, von denen ich euch im Folgenden berichten möchte. Der Auftakt für mich machte also der Rundgang:
Samstag, 05.11. 13 Uhr
„Auf den Spuren des jüdischen Lebens in Döbeln“ – Historischer Stadtrundgang
Veranstaltungsort: Café Courage
Veranstaltet von: AK Aktionswochen gegen Antisemitismus, Treibhaus e.V. Döbeln
Dies sagt der Treibhaus e.V. selbst über die Veranstaltung:
Das jüdische Leben wurde in Döbeln durch die Nationalsozialist_innen fast gänzlich ausgelöscht und vernichtet. Es kam zu Ausgrenzung, Demütigung, Verfolgung und Entrechtung. Von hier versuchten viele in die Anonymität der Großstädte zu fliehen. Nur wenigen Jüdinnen und Juden gelang die Flucht. Die meisten von ihnen wurden in einem Konzentrations- oder Vernichtungslager ermordet. Gemeinsam mit Interessierten wird sich die AG Geschichte auf Spurensuche in Döbeln begeben und vor Ort die Geschichten und Schicksale jüdischer Bürger_innen erzählen, um an sie zu erinnern und ihre Geschichten weiterzutragen.“
Wir alle haben die Zeit des Nationalsozialismus in der Schule durchgenommen und das hoch und runter, immer und immer wieder, zumeist noch mit schlechten Lehrern, die es nicht schafften, ein solch wichtiges Thema greifbar und nachfühlbar zu verpacken. Doch nun hier zu stehen und die ganz privaten Leidens- und Lebensgeschichten der Menschen zu hören, ist nochmal ein ganz anderes Erleben der Vergangenheit unserer Städte, unserer Nachbarschaft und eventuell sogar unserer eigenen Vorfahren.
Unserer Stadtführer des Tages, der „einfach Conny“ angesprochen werden wollte, trat unkompliziert und freundlich auf, hat definitiv noch Potenzial nach oben, was das freie Vortragen von Informationen angeht. 😀
Aber die von ihm und vom Treibhaus e.V. recherchierten Fakten sind wirklich äußerst spannend und schafften bei dem historischen Spaziergang ein vorstellbares Bild dieser dramatischen Zeit.
Also kommt doch mit und seht diese kleine sächsische Stadt einmal durch meine Augen, die Augen meiner besten Freundin und die der Gruppe geschichts-interessierter Menschen…
Am 10. März 1933 wird von der SA in Döbeln eine Fahne mit Hakenkreuz am Gebäude der Amtshauptmannschaft gehisst. Ab diesem Zeitpunkt sind die SA-Mannschaften mit Pistolen bewaffnet. Bereits am Nachmittag des selben Tages werden SA-Patrolien und SA-Posten vor Geschäften jüdischer Firmen aufgezogen. In der Bahnhofstraße werden am Gewerkschaftshaus Fensterscheiben eingeworfen.
SA und SS veranstalten Fackelumzüge und Kundgebungen. – Sie verbreiten ihr menschenfeindliche Gedankengut wo sie nur können und zeigen ein radikales Machtgebaren durch Waffen und Uniformierung bei Aufmärschen und Präsenz im Stadtalltag. Auch ein überzogener Führerkult hält Einzug: Paul von Hindenburg und Adolf Hitler erhalten die Ehrenbürgerschaft der Stadt. Plätze und Straßen werden nach ihnen benannt.
Ein massiver Boykott gegen “Rassejuden” in Döbeln beginnt. So werden Plakate mit der Aufschrift “Diese Geschäfte werden nur noch für Vaterlandsverräter geöffnet!”, an jüdische Geschäfte angebracht. Der Döbelner Stadtrat weist Beamt_innen und Angestellte darauf hin, nicht in jüdischen Geschäften einzukaufen und auch die NSDAP Kreisleitung ruft zum Boykott jüdischer Geschäfte, Rechtsanwält_innen und Ärzt_innen auf.
Oft wird nur von den Ereignissen des 2. Weltkrieges der Großstädte berichtet, aber auch die kleineren Städte entschieden sich bewusst für diesen Weg. Wir müssen uns bewusst machen, dass es keinesfalls alles fern und abstrakt war. – Genau vor unseren Türen passierten all diese grausamen Dinge und das vor nur wenigen Jahrzehnten. Auch hier auf den Schießwiesen in Döbeln fanden Bücher- und Fahnenverbrennung statt, überall in der Stadt wurden Menschen ausgegrenzt, gedemütigt und entrechtet. Ihre Geschäfte wurden “arisiert”, also ihnen ohne Entschädigung weggenommen. Sie wurden vertrieben oder in KZ´s deportiert. Todesmärsche gingen durch die Stadt.
Die Geschäfte, die Arztpraxen, in die die Bürger jahrelang gingen, waren plötzlich nicht mehr oder man traf dort fremde Menschen an. Nachbarn wurden unter Einsatz von Gewalt aus den Wohnungen geholt und weggebracht. Freunde, Schulkameraden oder Sportkollegen – verschwunden. Fackelumzüge, öffentliche rassistische Kundgebungen, bewaffnete SA und SS/ Hakenkreuze überall. – Niemand kann behaupten voll all dem Nichts mitbekommen zu haben!!!
Genausowenig wie man heute nicht mitbekommt, dass bildungs- und empathieferne Bürger, PEGIDA, AFD und Co. täglich Menschen beleidigen, angreifen und ausgrenzen. Man ist entweder Teil des Problems, Teil der Lösung ODER verschließt bewusst die Augen…
Bleibt offen und informiert euch, nutzt Kultur- und Aufklärungsangebote wie solche Führungen. ALERTA! ALERTA! ANTIFASCISTA!
Hab ich euren Wissensdurst geweckt, aber die nächste Führung ist so lange hin?! Ladet euch die App des Treibhaus e.V.´s oder checkt die Homepage:
www.doebeln-im-ns.de spiegelt die Erkenntnisse der AG Geschichte des Treibhaus e. V. wieder.
Unter dem Menüpunkt Themen können unterschiedliche Hintergrundinformationen über die Geschichte der NS Bewegung, ihre Verbrechen und Ideologie, die Organisation und Strukturierung des NS Staates oder über die Folgen für die Bevölkerung nach Zusammenbruch des Regimes eingeholt werden. Interaktive Karten mit Erklärungen und Verweisen illustrieren die Verstrickungen der Stadt Döbeln und Bewohner_innen mit dem NS Regime (Beschäftigung von Zwangsarbeiter_innen, NS Organisationen, Propagandaorte etc.) und bilden das ehemals jüdische Leben in Döbeln ab. Ein Zeitstrahl von 1919 bis 1947 kommentiert chronologisch die internationalen, nationalen und auf Döbeln bezogenen politischen Entwicklungen die zum Aufstieg des Nationalsozialismus beigetragen haben. Ich wünschte solch eine Seite würde es von jeder Stadt geben!!
Vielen Dank an Conny, Judith, und Sophie und natürlich an alle anderen vom Treibhaus e.v. , die ich noch nicht kennenlernen durfte. Ich macht eine großartige und so wichtige Arbeit !!
Ich hoffe wirklich, dass die besprochene Buchlesung von mir bei euch zustande kommt. : )
Eure Melinda
Quellen: geschichtlicher Teil – http://www.doebeln-im-ns.de
Info über die Homepage – http://www.migration-online.de
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