Betrügen und betrogen werden, nichts ist gewöhnlicher auf Erden.”
– Johann Gottfried Seume
Dass ich und viele von uns schon betrogen wurden, ist kein Pech, sondern einfach Alltag der Menschen: Manche Studien besagen rund jeder zweite Deutsche ist seinem Partner schon einmal fremdgegangen. Untreue ist auch einer der Hauptgründe, warum Ehen in den westlichen Industrienationen reihenweise kollabieren.
„Als Liebende halten wir uns für die vornehmen Protagonisten einer Verfilmung von Romeo und Julia. Was die menschliche Sexualität angeht, wird aber Planet der Affen gespielt.“, schrieb Michèle Binswanger in ihrem provokantem Manifest gegen eine monogame Lebensweise.
Doch nein, es muss doch noch einen Romeo da draußen geben! Sollen die Affen doch mit sich toben und mich in Ruhe außen vor lassen! Ich meine, wenn jeder Zweite fremd geht, gibt es statistisch immerhin noch 50% treue Seelen inmitten aller Menschen.
Als ich vor kurzem meine erste große Liebe wieder traf, dachte ich meinem Schicksal zu begegnen. Wir waren so jung damals. Unreif, wie man halt so ist mit 16/17 und machten Fehler. Waren wie viele Paare nicht fähig, offen miteinander zu kommunizieren. So konnte es nicht ewig weiter gehen, das wusste ich. Doch ich hatte Hoffnung, dass wir einen Weg finden würden, denn an Anziehung und Gefühlen zueinander sollte es nicht mangeln.
Zunächst zog ich aus, um uns mehr Raum zu geben. Doch es scheiterte bereits wenig später, indem er sich auf die Erstbeste einließ, die ihm schmeichelte (Was soviel heisst wie: sofort mit ihr schlief am ersten Abend) und mich für das leichte Mädchen verließ. Er hinterließ solch eine Leere. Mein Herz blutete. Ich schrie das erste Mal vor emotionalem Schmerz, als ich davon erfuhr. Konnte keine Hoffnung mehr sehen…
Wie konnte das sein? Der Mann den ich liebte, der mich liebte. Sowas darf nicht so enden!
Wir waren keine kitschigen Romeo und Julia, wir waren eher Bonny und Clyde – kämpferisch und tough, sowohl in unseren tragischen Geschichten, als auch in unseren Absichten verbunden. Nur waren unsere Ziele edler, als die der zwei Kultfiguren. Das erste Mal in meinem Leben fühlte ich mich sicher und aufgehoben, geliebt ohne Kompromisse. Er fand ein liebevolles Zuhause und Ruhe in mir. Ich wurde zu dieser Zeit Feministin und Aktivistin. Durch ihn an meiner Seite fühlte ich mich stark und unabhängig.
Und nun war er plötzlich weg.
Ich brauchte viele, viele Jahre um darüber hinweg zu kommen was passiert war. Sicherlich hinterließ es Narben. Und nun 13 Jahre später flammte die alte Liebe wieder auf.
Wir sahen uns bei einem Geburtstag in der Heimat. Als ich den Raum betrat erblickte ich ihn sofort und er mich, er lächelte, mein Herz blieb kurz stehen. Ich hielt erstmal Abstand, aber man sprach mich sogar auf die Funken zwischen uns an. Später setzte er sich zu mir und da war es wieder – dieses Gefühl.
Mein einziger Gedanke war, mich anlehnen zu wollen, dort, wo ich mich immer so sicher gefühlt habe. Aber ich schüttelte den Gedanken ab. Es war so viel passiert, wir sind doch ganz andere Menschen jetzt! “Also werd jetzt nicht albern!”, sagte ich mir.
Wenn einst sich Liebende denken, sie haben sich innerlich gelöst
und sind wieder frei, reicht ein einziges Sehen aus, um sie an diesen Irrtum zu erinnern.”
– Damaris Wieser
Er brachte mich nach Hause wie ein Gentleman. Aber wir konnten uns noch nicht trennen, also brachte ich ihn nach Hause wie eine emanzipierte Frau. Haha. An der Tür sprühten die Funken wieder. Bevor mein Herz sich überschlug, drehte ich mich um, zwinkerte ihm zu und ging. Doch er rief mir hinterher, fragte nach meiner Nummer und bereits am nächsten Tag bat er um ein Treffen.
Dort saßen wir nun. Er berichtete mir, die ganzen Jahre nur betrogen und belogen worden zu sein. Wohl als Strafe für sein damaliges Verhalten mir gegenüber, vermutete er. Er hätte so gelitten und oft an uns zurück gedacht, an mich zurück gedacht. Mir erging es genauso, dass ich an ihn dachte, er tatsächlich der einzige Exfreund ist, von dem ich ein Foto behielt, aber ich sagte es ihm nicht. Hatte Angst, mich zu öffnen und zu verletzlich zu machen.
Doch in diesem Moment guckte er mich mit seinen großen, eisblauen Augen und seinen wunderschönen ellenlangen Wimpern an. Seine Augen wurden gläsrig. Als er tief einatmete, nahm er meine Hand zum ersten Mal nach all der Zeit und entschuldigte sich erstmalig für die Verletzungen. Mir liefen die Tränen die Wange herunter als wir über diese schwere Zeit sprachen. Nichts mehr mit “cool bleiben” und drüber hinweg sein! Es wurde wieder so real für mich. All diese Emotionen kamen von ganz tief unten wieder hoch, wo ich sie verschlossen hatte über die Jahre, auch die positiven.
Konnte das die Wahrheit sein? Nach all den schlechten Dates und schlimmen Beziehungen, nach der großen Leidenszeit wegen meinem geliebten Schweden, endet meinte Geschichte jetzt mit der ersten Liebe meines Lebens?
Doch das idyllische Beziehungsglück sollte nicht plötzlich in mein Leben treten. In nur wenigen Wochen sollte er beruflich für eine ganze Weile das Land verlassen, vermutlich ohne Kontaktmöglichkeiten. Aber auch dieser Fakt sollte an Tragik noch nicht genügen! Er sollte sich auf eine gefährliche Reise in unsichere Gebiete begeben. Und weil auch das noch nicht ausreichte, fand ich nur wenige Tage vor seiner Abfahrt heraus, dass er sich kurz nach meinem vorläufig letzten Besuch bei ihm, heimlich mit seiner Ex-Affäre verabredet war.
Ich war nicht plötzlich über Nacht zu einer glücklichen, liebestrunkenen Julia Capulet mutiert (auch wenn wir ihr an Tragik in kaum was nachstehen), vielleicht am ehesten noch zu einer Jane, wieder einmal unfreiwillig gefangen im eingangs besagten Planet der Affen. Dieser Trottel hat mich doch tatsächlich ein zweites Mal betrogen!
Nun ja, um fair zu sein: „Tarzan“ beteuerte sich nicht für den Koitus mit ihr treffen zu wollen, obwohl das immer ihre einzige Verbindung war. Aber das ist auch nicht wichtig. Für viele Menschen ist der Vertrauensmissbrauch noch viel schlimmer und verletztender als die eigentliche sexuelle Untreue. So auch für mich. Also ob er dieses Mal die Wahrheit sprach über seine Absichten mit ihr, nachdem sein beabsichtigtes, heimliches Treffen mit der viel zu jungen Affäre raus kam oder er jetzt erneut log, machte den wiederholten Missbrauch meines Vertrauens nun auch nicht mehr wett. Und das bei unserer Vorgeschichte…
Wie soll man danach einfach weiter machen? Möchte man das überhaupt? Denn wie lange sollte eine Beziehung ohne Vertrauen und Ehrlichkeit Bestand haben?
Und genau wegen diesen Zweifeln ist es auch in der Regel nicht möglich, alleine durch ein aufrichtiges Bedauern ein Fremdgehen in der Beziehung zu korrigieren. Vielmehr müssen große Anstrengungen unternommen werden, damit neues Vertrauen wieder entsteht. In solch einer frustrierten Lage, resignieren die Meisten allerdings eher, als um eine gemeinsame Zukunft zu kämpfen. Den einfachen Weg gehen ist halt auch bequemer. Die Voraussetzung für eine weitere Chance ist natürlich außerdem, dass auch der betrogene Partner dazu bereit ist, einen Neuanfang zu wagen.
Führst du mich einmal hinters Licht, Schande über dich;
führst du mich zweimal hinters Licht, Schande über mich.”
– Aus China
Ich war mir wirklich nicht sicher, ob ich das ein weiteres Mal möchte. So frisch wieder vereint und bereits derart große Fehlschritte. Aber meine Gefühle spielten verrückt. Die kurze Zeit, so viel zu sagen, so viel nachzuholen, so dermaßen viele Gefühle! Aber auch eine vernünftige und notwendige Wiedergutmachung war nicht möglich, aufgrund seiner baldigen Abreise bereits wenige Tage später. Er besuchte mich ein letztes Mal vor der Abfahrt.
Ich wollte die Zeit nicht mit Streit verbringen, war aber doch hin und her gerissen zwischen Anziehung und Enttäuschung. Bevor er ging, ließ er mir ein Blümchen im hellblauen Metalltopf da.
„Kümmer dich gut um sie, bis ich wieder da bin. Wie sie wächst, wachsen wir. Pflege sie und dann bin ich auch schon bald wieder zurück.“ – Mit diesen theatralischen Worten überreichte er sie mir in einem Park. „Genau dort passt es gut!“, sagte er und deutete auf eine Bank mit dem Graffiti eines Herzens. Das erste Mal flüsterte er „Ich liebe dich!“ und ging daraufhin. Meine Gefühle schäumten über. Ich war überfordert, also ging ich schnell nach Hause, klammerte mich an den Topf, brach Zuhause angekommen in Tränen aus.
Dann folgen Wochen der Reflektion. Die unschuldige Blume blühte und streckte sich zur Sonne aus. Oft blickte ich bei der Arbeit zu ihr. Sie stand gleich neben meinem Schreibtisch auf dem Fenstersims.
Als Tag um Tag verstrich, ging eine Blüte nach der anderen ein. Er kam irgendwann wieder. Doch unsere Liebesgeschichte hatte keine Chance auf ein Happy End. Das hatte sie wohl nie.
Kurz nachdem er wieder da war, verschwand er für eine Woche ohne eine Meldung. Keine Mühen der Wiedergutmachung. Er kümmerte sich nicht um mich und meine Sorgen, meine Nöten und Bedürfnisse, nur um sein eigenes Wohlbefinden. Und es ging mir gesundheitlich nicht gerade gut zu diesem Zeitpunkt. Das Alles und die Zweifel an der Treue, der damit verbundenen Angst vor weiteren Verletzungen…..Nein, das wollte ich nicht, nicht schon wieder!
Und so steht die kleine mutige Blume immernoch in einer versteckten Ecke meiner Wohnung, wie eine Methapher unserer Liebe und den ehrlichen Gefühlen füreinander, denen keine wirkliche Chance gegeben wurde…
Das war´s für unsere zweite Chance. Er hat es schlichtweg in den Sand gesetzt. War er schon immer so? Hatte ich ihn in meinem Leid der Jahre idealisiert? Eventuell ist er ja einer dieser notorischen Fremdgeher. Vielleicht auch nur ein feiger Lügner mit Egoproblemen. Es soll nun nicht mehr mein Problem sein, dies zu ergründen. Diese Erfahrung war ernüchternd.
Allerdings bewies es mir ein weiteres Mal: Einmal Fremdgeher – IMMER Fremdgeher! Und das sind nicht nur die Worte einer enttäuschten Frau, denn das belegen auch Studien: Wer einmal betrügt, betrügt aus statistischer Sicht wieder. Macht auch Sinn: Da Beziehungen Teil unserer kontinuierlichen Entwicklung sind, ist es ganz natürlich, dass Erfahrungen auf künftige Partnerschaften abfärben. Auch das Gefühl unverbindliche Bestätigung neben der Beziehung zu bekommen und mit Fremdgehen ohne Konsequenzen durch zu kommen, kann eine solche Lernerfahrung sein. Oder der Lehrstoff seines Lebens war ganz simpel: Geht die eine, kommt die nächste Chance bald.
Konstruktives zugunsten seiner Beziehungsfähigkeit hat mein Ex nicht wirklich dazugelernt über das letzte Jahrzehnt. Ich dachte, er hätte sich weiterentwickelt. Aber am Ende doch nur ein Affe dieser Kerl!
Ich dachte am Boden zerstört zu sein, wie sonst auch immer nach einer Trennung. Aber die vielen Enttäuschungen der Jahre haben mich abstumpfen lassen. Kaum mehr was übrig von der enthusiastischen, verträumten Romantikerin, die ich einst war.
Ob der andere stirbt und dich allein läßt, oder ob er es vorzieht, ohne dich weiter zu leben, jede Trennung läßt auch etwas in dir sterben und du wirst immer weniger du.”
– Erhard Blanck
Man erwartet ja auch kaum noch wirklich ehrliche, treue Partner. Empirische Zahlen stützen diese doch sehr subjektive Empfindung. Die negative Erwartungshaltung erschafft reihenweise eifersüchtige Partner. Ist es demnach falsch Fremdgeher zu pathologisieren und sie moralisch zu stigmatisieren, wenn sie doch eigentlich der Normalfall sind?
Ich habe viele Beziehungen am Problem falscher Treueversprechen zerbrechen sehen; habe viele MEINER Beziehungen an deren hohe Erwartung scheitern sehen. Ist also Treue nur eine Hollywoodträumerei?
Ja, mein resignierendes Ich fragt sich heute vermehrt: Ist es vielleicht gar nicht die Untreue, die Ehen und Beziehungen kaputt macht, sondern die unrealistische Erwartung, dass Sex nur innerhalb der Zweierkonstellation stattfinden soll? Sind wir Menschen wirklich monogam oder zwängen wir uns nur in ein gesellschaftliches Korsett des Treu-seins? Sollten uns Seitensprünge und Scheidungsraten eine Lehre sein?
Anti-Monogamie-Vertreter formulieren dazu strittige Aussagen wie: “Das Pärchentum bringt immer nur die schlechtesten Eigenschaften des Einzelnen hervor und produziert deshalb am laufenden Band unglückliche Paare, die wie geprügelte Hunde nebeneinander durchs Leben trotten.”
Und was soll ich sagen? Solche Pärchen kennen wir alle, so auch Nancy, die im Teil 1 erwähnte Ehefrau. Durch gesellschaftlichen und familiären Druck fühlt sie sich in die Ecke gedrängt, verbleibt in unglücklicher Beziehung. Und doch sehen wir im Alltag auch das Gegenteilige: Die (nervig) verliebten Pärchen überall knutschend im Park oder auf Bildern in den sozialen Medien, die sich garnicht vorstellen könnten einen anderen zu küssen.
Wo liegt also die Wahrheit? Mono oder Poly?
Lest bald wieder rein für den letzten Teil der gedanklichen Reise…
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22 Kommentare auf "Fremdgeher Pt.2 – Die Bank der unglücklichen Reunion"