Wenn ein Freund weggeht,
muß man die Türe schließen, sonst wird es kalt.”
– Bertolt Brecht
Alles hat ein Ende und so scheint sich folgendes Schema immer wieder abzuspielen: Man baut lange eine Freundschaft auf uuuuund es wird plötzlich schwierig. Zwischenmenschliche Beziehungen sind halt auch einfach verzwickt.
Ich für meinen Teil denke jedenfalls, ich bin meinen Lieben eine gute Freundin, denn ich interessiere mich sehr für andere und versuche immer da zu sein, wenn es Probleme gibt. Manchmal habe ich sogar das Gefühl ich mache zu viel für andere und zu wenig für mich, auch in Partnerschaften. Das wächst mir dann schnell mal über den Kopf und führte bereits zu regelrechten Burnouts.
Aufopferungsvoll und Empathisch zu sein klingt nun zunächst nicht allzu negativ. Doch Niemand ist perfekt. – So habe ich unter anderem Schwierigkeiten mit dem Melden bei meinen Kumpanen. Eine durchaus nervige Eigenart, die ich seit der Jugend nicht ablegen konnte.
Da ich immer denke, sie wären mit anderem beschäftigt, möchte ihnen nicht die Blöße geben, sich Ausreden einfallen zu lassen. Ich nehme mir viel (manchmal vielleicht auch zu viel) zu Herzen. Jaja, so haben wir alle unsere Eigenarten! Gute Freunde wissen das und nehmen es mir nicht übel. Zu den Personen dieser ausgewählten Gruppe besteht eine besondere Bindung. Doch nichts ist von Bestand, Menschen ändern sich und somit auch manchmal die vertrautesten Freundschaften.
Szenenwechsel.
Mein Bruder holt mich und meinen neuen Adoptivhund für einen Spaziergang an der Elbe ab, im Schlepptau mit meinem über alles geliebten Frenchie Luke und Mopsmischling/Clownie Ernie – der Hund seiner Freundin.
Es ist Lucy´s erstes Zusammentreffen mit 2/4 meiner kleinen verschrobenen Familie. Ich bin dementsprechend aufgeregt. Doch die Hunde verstehen sich prächtig. Sie sind ausgelassen und fröhlich, genießen diesen lauen Frühlingstag in vollen Zügen. Unsere Themen beginnen allerdings immer ernster zu werden.
„Ich glaube ich werde alt.“, sagt mein Bruder während er das Bier ansetzt und einen großen Schluck nimmt. Er bezieht sich damit auf das zuvor Gesagte, wo er beklagte, dass ihm Ausgehen kaum mehr Spaß macht. Ich nicke betröppelt.
Denn ja, ich weiß nur allzu gut wovon er da redet. Auch mir geht es ähnlich. Manche Freunde und Bekannte scheinen sich nicht weiterzuentwickeln und plappern in Endlosschleife die alten Kamellen hoch und runter. Man kann diese ausgenudelte Platte irgendwann nicht mehr hören. Andere werden immer versteifter im Alter, was ihr Verhalten betrifft. Nunja, wir werden alle nicht jünger und so verstärken sich unser aller Eigenheiten und Schrullen. Und damit meine ich sowohl die unserer Freunde, als auch unsere Eigenen.
Meine Familie besteht beispielsweise aus sehr kritischen Menschen, die viel hinterfragen und hohe moralische Werte besitzen, somit sehr selbstkritisch sind, aber auch sehr oft emotional übertrieben handeln. „Ihr malt alle gerne den Teufel an die Wand.“, sagte vor kurzem erst meine Schwägerin in spe dazu. Mein Bruder fährt schnell mal hoch und steigert sich wütend in Rage über Dinge, die nicht so laufen wie er sie für richtig hält. Ich bin da komplett konträr: Enttäuschung macht mich eher nachdenklich und traurig als wütend. Ich steiger mich dann in die negativen Gefühle, ziehe mich selbst unnötig runter. Aber auf das Essentielle runter gerechnet, sind es beides äußerst emotionale Reaktionen.
„Ich verstehe es nicht.“, sagt er und meint damit Konflikte zwischen ihm und Freunden. Dabei ist es doch recht offensichtlich: Es ist eine Frage der Prioritäten! Die verändern sich nun einmal in unserem Leben, so auch bei ihm und seinen Freunden. Er entwickelt sich weiter, besonders durch die neue Stadt, entdeckte neue Interessen, alte verlieren an Wichtigkeit. Seine bisherigen Wegbegleiter entwickeln sich in andere Richtungen. Spannungen, und damit auf Dauer Probleme, vorprogrammiert. Die Freundschaft zwischen ihm und seinen alten Kumpels wird vermutlich distanzierter werden über die Jahre.
Sowas ist tragisch und doch ein normaler Vorgang: Man entfernt sich voneinander, in dem sich die jeweiligen Wichtigkeiten verlagern.
Während wir also so spazieren mit schweren Herzen, verlassen wir so langsam das Elbufer.
Wenn die Freunde sich auch Jahre später noch in ähnlichen sozialen Situationen befinden, stehen die Chancen gut, dass die Freundschaft erhalten bleibt. Wenn nicht, wird es schwierig. Vielen von uns kommt das bekannt vor: Wenn die beste Freundin plötzlich heiratet und womöglich das erste Baby auf dem Weg ist, während man selbst immernoch keine Partynacht auslässt. Ja, dann hat man ganz plötzlich weniger gemeinsame Themen. Man scheint in anderen Welten zu leben. Deswegen wird die Freundschaft nicht gleich dramatisch beendet werden, aber sie wird mit ziemlicher Sicherheit distanzierter.
Übrigens geben im Alter viele Menschen an, dass ihnen ihre engsten Freunde sogar näher stehen als die eigenen Verwandten. Ebenso erging es mir mit meiner besten Freundin. Sie hatte mich und ich sie als engste Vertraute und Bezugsperson über viele Jahre. Ich war regelrecht daran gewöhnt. Mit dem Zusammenzug mit ihrem Freund wurde er Schritt für Schritt der, um den sich ihre Welt dreht. Ihre Freizeit, ihr ganzes Leben, einfach alles wurde nun um ihn geplant. Ich wurde langsam aber stetig zu einer Randnotiz.
Zeitweise verletzte mich dieser Fakt, denn ich habe diese Wahrheit insgeheim lange abgelehnt und wie ich halt so funktioniere, immer wieder ungemein emotional reagiert, wenn ein Vorfall eintrat, der es offensichtlich machte. Ich nahm es persönlich, obwohl es garnichts mit mir zu tun hat, dass sich ihre Prioritäten ändern, wenn sich halt logischerweise irgendwann ihre langjährige Beziehung intensiviert.
Alle Enttäuschung der Welt ändert nichts: Viele meiner einstmals engen Freunde, die nicht nur eine langjährige Partnerschaft führen, sondern bereits Familien gegründet haben oder damit liebäugeln, sind nun wenig interessiert an den alten, sorglosen Abenden oder generell daran noch viel Mühe und Zeit in alte Freundschaften zu stecken. Die Familie ist jetzt im Fokus und alles andere Nebensache. Un daran die Familie oben an zu setzen, ist sicherlich erstmal nichts auszusetzen.
Doch all diese Menschen, die ich in einer Subkultur kennengelernt habe, die konventionelle, konservative Lebensformen ablehnt oder zumindest stark kritisiert, sind jetzt Stammgäste bei Ikea und Apple, konsumieren unreflektiert, heiraten für zehntausende Euro und füttern fleißig ihren Bausparvertrag. Und auch Hardcore/Punk – die Musik der Szene – hören sie nur noch, wenn die Frau gerade nicht da ist und das Kind schläft. – Am besten im Auto auf der Fahrt zur Arbeit, die jetzt bis zu 70% das Leben bestimmt.
Der Mann einer meiner Freundinnen sagte erst vor Kurzem zu mir: “Na, wird langsam Zeit, dass du auch mal nachziehst mit Mann und Kindern oder?!” Ich konnte nur müde lächeln, wenn man ihre massiven Probleme und ihre Unzufriedenheit bedenkt. Früher haben wir Spießer ausgelacht, jetzt sind sie selber welche, inkognito in Hardcoreshirts, und urteilen über den Lebensstil anderer.
Ja, ich werde zeitweise sentimental, betrauere meine alten Freundschaften und die schönen Zeiten, die wir hatten. Wir machten Tierrechtsstände und politisch motivierte Aktionen, schienen alle so voller Tatendrang zu sein. – Kids mit der Kraft und genug Herz, die Welt zu verändern. Aber ich weiß, dass das Leben nicht stehen bleibt, kraftvolle Herzen erkalten, man manchmal auf Abstand geht oder sich sogar von den alten Freunden trennt, wenn sie nicht mehr zum aktuellen Leben passen.
Mittlerweile ist unser Wolfpack zum (veganen) Burger Essen im Flaschen Hasen angekommen . Es sind einfach die Besten der Stadt!!! Wir machen es uns draußen gemütlich. So einen schönen Tag muss man an der frischen Luft verbringen.
Und wie wir da so sitzenund es uns gut gehen lassen, werden wir versöhnlicher mit den Abschieden unseres Lebens, denn wir wissen ja: Sie gehören halt einfach dazu.
If you’re not losing friends then you’re not growing up.“
Das sollten wir alle akzeptieren, statt krampfhaft an melancholischen Vorstellungen zu klammern. Dafür können neue Menschen in unser Leben treten, die aktuell gleiche Wertvorstellungen teilen. Wir sind alle nicht am Ende unserer Reise angelangt.
Schlussendlich verringert sich auch die Anzahl der Freunde im Alter. Ein ebenso normaler Vorgang wie die Verlagerung unserer Prioritäten. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Anzahl der Freunde mit dem Alter proportional abnimmt. Es läuft fließend ab und oft nicht bewusst: Anstatt einem großen, eher locker verbundenen Freundeskreis haben die meisten Menschen plötzlich nur noch eine Handvoll, aber dafür erlesene Freunde. Diese Entwicklung beginnt meist zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr, manchmal auch schon mit Ende 20.
Früher war ich auf jedem Konzert, das irgendwie zu erreichen war. Ich fuhr mit einer meiner engsten Freundinnen und wir hatten eine großartige Zeit. Für damals war es das abolut Richtige. Mittlerweile sage ich oft, dass ich aufgrund meiner Erkrankung nicht mehr auf Konzerte kann. Aber das ist nur Teils die Wahrheit, Teils eine simple Ausrede, um mich nicht weiter erklären zu müssen, denn auch ich habe mich verändert.
Gemütliche Abende, die ich mit recherchieren und schreiben verbringe, Naturausflüge und Reisen sind mir mittlerweile wichtiger als auf Konzerte voller prolliger Machotypen und Szene-Styler zu gehen, meine Zeit und mein Geld zu investieren. Das verwende ich lieber für Museen und Bücher, denn die haben mich schon seit der Kindheit begeistert. Außerdem befasse ich mich wieder vermehrt mit politischer Arbeit, was mir ebenfalls extrem gut tut. Ich fühle mich nicht mehr so getrieben, ausgeglichener und umgebe mich weniger mit oberflächlichen Bekanntschaften.
Und schlussendlich war auch die Entscheidung zur Adoption meiner Kleinen (>>>hier gehts zum Beitrag über den schwieirigen Weg hin zum neuen Zuhause mit ihr) ein Schritt hin zum „wahren ich“. Sie bereichert mein Leben und spendet mir so viel Freude und Lebenslust.
Fassen wir also abschließend noch einmal zusammen: Menschen entwickeln sich im Laufe ihres Lebens. Sie bekommen Impulse, machen Erfahrungen, haben Begegnungen, Niederlagen und Erfolge. Alles prägt, steuert und verändert sie – manchmal schnell, manchmal über Wochen, Monate oder gar Jahre. Das Alles hängt natürlich auch vom Charakter des Einzelnen ab, wie sehr er/sie für Veränderungen und Einflüsse empfänglich ist.
Durch einschneidende Erlebnisse – einen Streit, eine neue Liebe oder eine andere Stadt – verändern sich so auch Freundschaften. Manchmal sind die Entwicklungen so gavierend, dass es einfach keine Basis mehr gibt. Man distanziert sich oder verliert sich komplett. Und das Leben geht weiter.
Daneben gibt es noch die sogenannten “Vergangenheitsfreunde”. Das sind Menschen, mit denen wir einmal eine intensive, gute Freundschaft geführt haben, mit denen uns jetzt aber kaum mehr etwas verbindet. Die Freundschaft wird also nur noch der alten Zeiten willen, sozusagen aus Pflichtgefühl heraus, aufrecht erhalten. Auch ich führte eine solche Freundschaft, doch immer wieder kam es zu Komplikationen. Sie erwartete unausgesprochen permanent Dinge, die ich nicht erfüllen konnte und ihre Enttäuschung darüber war immens.
Lasst euch am Ende das gesagt sein: Eine Freundschaft lebt und stirbt damit, wie viel ihr investieren wollt. Macht ihr selbst nichts für die Beziehung, sitzt aber krämerisch in euren vier Wänden und wartet, dass jemand euch hinterher läuft in eurem Rückzug, wartet ihr vermutlich lange. Ein kluger Mann sagte einmal: „Sei Du selbst die Veränderung, die Du Dir wünschst für diese Welt.“ Es war kein Geringerer als Mahatma Gandhi. Möchtest du eine andere Qualität von Freundschaften, sei du selbst ein besserer Freund!
Im Fall meiner Freundin hätte ich es besser und auch ehrlicher gefunden, wenn sie sich um mich bemüht, mir ihre Gedanken erklärt, anstatt die Disharmonien größer werden zu lassen und wir uns jetzt folglich nicht mehr viel zu sagen haben. Lieber hätte ich akzeptiert, dass wir uns verändert haben, hätte die schönen Zeiten konserviert, als durch ihre Missstimmung alles Gute zu zerstören. Aber ich hab es einfach aufgegeben um sie zu kämpfen. Es ist einfach zu viel passiert.
Klar stehen alle “Freunde” hinter dir, wenn die Kugel von vorne kommt.”
Denn es ist schon was anderes, wenn eine Freundschaft durch einen konkreten Auslöser in ihren Grundfesten gestört wurde. Zu solchen Auslösern gehört zum Beispiel ein schwerer Vertrauensmissbrauch, etwa indem intime Informationen an Dritte weitererzählt wurden, man wurde in einer Notsituation sitzen gelassen oder skrupellos hintergangen. All das ist vielen von uns bereits passiert, so auch mir. Ist das Grundvertrauen verletzt worden, kommt es nicht selten zu einem irreparablen Bruch. Es gehört einiges dazu sowas wieder gerade zu rücken.
Wurdet ihr derart schwerwiegend verletzt oder missbilligt ihr die aktuelle Art eurer Freunde, zieht euch vielleicht erklärungslos zurück, einfach aus Selbstschutz. Wenn eure Freunde wirkliches Interesse haben, werden sie das hinterfragen statt zu krämen. Das wäre dann für euch der Moment, Klärung herbeizuführen. Wenn nicht, dann nicht.
Denn nicht immer besteht der oben beschriebene Handlungsbedarf eurerseits (“euch selbst mehr Mühe geben, damit sich die Beziehung verbessert”), wenn sie sich doch wohl fühlen in ihrem neuen Leben und ihr einfach nicht mehr hinein passt. Sollen sie sich doch jetzt mit anderen Muttis austauschen oder eine Symbiose mit ihrem Partner eingehen, ihr Leben nur um ihn/sie planen, wenn es sie glücklich macht.
Möchten sie euch jedoch nicht verlieren, müssen sie sich und ihr Verhalten auch mal offen reflektieren und sich um euch bemühen. Meine aktuell engste Freundin managed Freund, Baby und das Pflegen unserer Freundschaft auch ohne Probleme. Ist sie einmal zu sehr eingebunden, fahre ich halt zu ihr oder unterstütze sie bei ihren täglichen Aufgaben. Seit dem ich in Dresden wohne ist unsere Freundschaft von vor 13 Jahren wieder aufgeflammt. Jetzt sind wir füreinander da, was auch kommt. Denn auch eingeschlafene Freundschaften können jederzeit wieder aufleben, wenn sich die Lebensumstände ändern. Dazu muss sich nur einer der Parteien bei dem anderen unverbindlich melden und gucken was daraus entsteht. Manchmal traut man es sich kaum nach solch einer Zeit, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt!!
Mag einer eurer aktuellen Freunde allerdings nichts mehr in die Freundschaft investieren, ist er/sie dauerhaft nicht für euch da, wenn ihr sie braucht, versucht irgendwann abzuschließen und weiter zu gehen, ganz ohne Wut im Bauch über sich verändernde Zeiten. – So wie auch ich es versuche. Das klappt mal besser, mal schlechter. Manchmal nimmt die Enttäuschung darüber auch bei mir überhand.
Je öfter ihr allerdings die Verletzung aussprecht, desto mehr Raum nimmt sie in eurem Leben ein. Sie wird euch verbittern am Ende. Lasst das nicht zu! Also reflektiert, was euch die Freundschaft wert ist, seid ihnen der Freund, den ihr selbst braucht, nehmt aber auch Abstand zu allem, was euch nicht gut tut. Irgendwann werdet ihr auf Arbeit, in eurem Lieblingscafé oder auch im Netz einen neuen Freund treffen, mit dem ihr spannende neue Abenteuer erlebt…
Ein Freund stattet einen mit tausend Augen aus, wie die Göttin Indra. Durch seine Freunde lebt man ungezählte Leben.
Man sieht in anderen Dimensionen. Man lebt, das Obere nach unten und das Innere nach außen gekehrt. Man ist niemals allein.”– Henry Miller
Oh man. – Dies war ein toller Tag. So griesgrämig mein Bruder manchmal auch sein mag, er ist ein großartiger Mensch mit all seinen Eigenheiten und er schafft es doch immer wieder, mich zum Nachdenken anzuregen. Unser Seniorenhund Luke wird langsam müde vom Laufen, also verabschieden wir uns gleich nach dem Essen.
Ich muss lächeln. Mein neuer flauschiger Wegbegleiter und ich laufen durch die Straßen und es geht mir gut. Die Sonne geht langsam unter, das Licht wird golden.
Lucy guckt prüfend zu mir. Ich sage: „Los, auf geht´s nach Hause!“
Sie trabt fröhlich los.
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