Nicht, was lebendig, kraftvoll sich verkündigt,
Ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz
Gemeine ist’s, das ewig Gestrige,
Was immer war und immer wiederkehrt
Und morgen gilt, weil’s heute hat gegolten!“
– Friedrich Schiller
Es gibt unheimlich viele Sprichwörter zum Thema „Heimat“. Als ich mich nun in Richtung Ostsee aufmachte, fuhr ich in die meiner Freundin Steffi, die ich dort besuchte. Sie hatte fast nur Schlechtes zu berichten von ihrer Herkunftsstadt Barth. Als Außenstehender kann man das schwer nachempfinden, denn man sieht nur diese kleine, idyllische Stadt am südlichen Ufer des Barther Boddens.
Sie beschrieb nun gar nicht so idyllische Geschichten von Drogen und Gewalt, gesellschaftlich akzeptiertem Rassismus und einer generellen Perspektivlosigkeit der Menschen. „Viele hier trinken stark. Das gehört hier einfach zum trostlosen Leben.“
Unser Auto hielt an einer Tankstelle, gegenüber einem klassischen Plattenbau. „Dort schlafen wir!“, sagte sie. Ich lachte. Aber ihr freundlicher Blick wurde ernst: „Nein wirklich! – DORT wohnen meine Eltern und sie wohnen auch sehr gerne im Block.“ Ich musste schlucken. Nicht dass ich verwöhnt wäre, aber auch ich bin in Brandenburg, Ostdeutschland in einem Block aufgewachsen und empfand die grauen großen Platten der rechteckigen Betonbauten immer als so drückend und trostlos – ein Kindheitstrauma gewissermaßen. Nie wieder wollte ich in solch einer Umgebung wohnen. Zudem hatte ich bei einer Einladung „an die Küste“ gedacht, wir würden in einem kleinen schnuggligen Haus in der Nähe des Meeres wohnen – Was man halt so im Kopf hat, wenn man an Küste denkt.
Nun gut – was solls! Ich dachte, ich muss ja nicht hier wohnen, sondern nur ein paar Nächte schlafen. Also lass ich es einfach auf mich zukommen und genieße ansonsten eine entspannte Zeit mit meiner Freundin. Und darauf freue ich mich unheimlich, auch trotz des ersten Schocks, denn: “Es gibt Menschen, die sind wie ein sicherer Hafen. Du kannst dort immer vor Anker gehen.” – Jochen Mariss
Für sie ist diese Umgebung ihre Heimat: der Block, die fremdenfeindlichen Menschen und die Tankstelle, an der sie früher mit ihren Freunden stand, ebenso wie der schöne Hafen und ihre schnurrende Mietz. Sie verbindet sehr persönliche Gefühle und ihre frühe Sozialisationsgeschichte mit dieser Gegend, wie sie auch aussehen mag. Das kennen wir alle. Und das ist auch in Ordnung so. Zwar konnten wir uns nicht aussuchen, wo wir geboren werden, aber all diese Erfahrungen haben uns zu dem oder der gemacht, die wir heute sind. Wir haben aus negativen Erlebnissen oder Vorbildern gelernt oder uns unreflektiert gebräuchliche Verhaltensweisen der Familie, der Peer-Group, der Stadt, der Region, angenommen.
Der Begriff Heimat verweist also zumeist auf eine Beziehung zwischen Mensch und Raum. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird er auf den Ort angewendet, in den ein Mensch hineingeboren wird und in dem die frühesten Sozialisationserlebnisse stattfinden, die zunächst Identität, Charakter, Mentalität, Einstellungen und Weltauffassungen prägen, bis wir dann in die weite Welt gehen, neue Erfahrungen sammeln und uns weiter entwickeln. (vgl. Wiki)
Um also die Vergangenheit aufzuarbeiten, zu reflektieren und daraus zu lernen, dürfen wir unsere Wurzeln nicht verdrängen und damit aus dem Blick verlieren. Ein ehrlicher Blick auf die Familie und die Umstände, in der wir aufwuchsen, kann uns enorm weiter bringen im Leben.
Niemand darf seine Wurzeln vergessen.
Sie sind Ursprung unseres Lebens.“
– Federico Fellini
Ich konnte jedoch Heimatliebe, wie viele Rechte und Ewiggestrige sie gerne ausleben, nie so recht nachvollziehen. Man empfindet schon eine gewisse Sicherheit in der Gegend aus der man kommt, gerade weil man jede Ecke, jede Straße, jedes Haus und viele Gesichter kennt. Wenig kann einen hier noch überraschen, während die Welt dort draußen so unberechenbar scheint.
Diese Art der Sicherheit kann ich gut nachvollziehen. Ich empfinde das genauso, allerdings wenn ich bei meiner Mum bin, unabhängig davon, wo wir uns aufhalten in der Welt. Sie gibt mir ein Gefühl des Zuhauses, ebenso wie mein Bruder, meine beste Freundin und die französische Bulldogge Luke – unser Clown und Liebling der Familie. „Der Mensch ist dort zuhause wo sein Herz ist, nicht dort, wo sein Körper ist.“, sagte sich dem anschließend auch schon Mahatma Gandhi. Und auch Johann Wolfgang von Goethe befand:
„Alle diese vortrefflichen Menschen, zu denen Sie nun ein angenehmes Verhältnis haben, das ist es, was ich eine Heimat nenne.“
Ja, diese „vortrefflichen Menschen“ machen für mich eine Heimat aus und nicht eine kleine Stadt in Brandenburg, in der, abgesehen von Mum, keiner von ihnen mehr wohnt. Aber versteht mich nicht falsch: Ich liebe es die Welt zu erkunden und jede Gegend hat Besonderheiten, so auch der Elbe-Elster-Kreis, aus dem ich komme: schöne Mischwälder mit Waldpilzen im Herbst, malerische Blumenwiesen und Felder voller Spargel, Sonnenblumen und Erdbeeren und dann noch der Spreewald mit den Flüssen und Bächen zum Kanufahren, der gleich um die Ecke ist.
Allerdings ist es doch ziemlicher Zufall, dass ich dort geboren wurde und nicht in Bayern irgendwo oder hier an der schönen Küste, oder dass meine Eltern sich nicht für einen Umzug entschieden irendwann. Daher empfinde ich keine Liebe für diese sagenumworbene Sache namens „Heimat“ und kann höchstens noch nachempfinden, dass man ein wohliges Gefühl mit der Familie dort verbindet und eine gewisse Melancholie für die ganz persönlichen, geschichtsträchtigen Orte der Kindheit und Jugend.
Nachdem wir uns den ersten Tag gleich zum Meer nach Zingst aufgemacht hatten, verbrachten wir den zweiten Tag nun in Barth selbst. Wir wanderten gemütlich durch die Straßen und sie zeigte mir ihre Geschichte. Es ist schon wirklich eine wunderschöne Stadt. Und auch das Café in das wir gingen, sprühte nur so vor Charme. Ich machte Fotos und schwärmte viel und meine Freundin ließ sich langsam von der Euphorie anstecken.
Ein wirklich schönes Café mitten in der Innenstadt. Leider gibt es, wie so oft in eher ländlichen Gebieten, keine wirklichen veganen Optionen. Da sich bereits rumgesprochen hat, dass meine Bekannte in der Stadt ist, hatten sie wenigstens schon mal vorsorglich Sojamilch besorgt. Aber etwas Süßes für mich gäbe es erst wieder in der Sommersaison, sagten sie. Schade drum. – Ich bin doch so eine Kuchenliese.
Meine Bekannte erläuterte im Gespräch mit mir und der Besitzerin dazu: “Naja, viele hier sind so kritisch Neuem gegenüber, dass sie vegane Kuchen nicht essen würden, wären sie so ausgezeichnet.” Doch ich entgegne trocken: “Dann schreibt es halt nicht drauf, aber habt was in Petto, wenn ein Veganer kommt und danach fragt! Die Kunden hier merken doch nicht mal, dass sie was Veganes essen!”
Es scheint als wüssten sie zunächst nicht, was sie dazu sagen sollen. Schon oft habe ich das vorgeschlagen, aber bisher hat sich Niemand auch nur ansatzweise mit diesem Gedanken auseinander gesetzt. Sie wiegeln ab mit der Begründung ihre Kunden nicht belügen zu wollen. Aber inwiefern wäre das denn eine Lüge? Es ist süß, es ist lecker und das ist exakt das, was sie bekommen möchten in solch einem Café. Eine größere Lüge sind Produkte aus Tierqual in idyllischer Atmosphäre so zu präsentieren, als wäre nichts dabei, dass Tiere dafür misshandelt werden. – Aber das ist ein anderes Thema.
Die Frauen, die hier Kellnern sind auf jeden Fall allesamt sehr nett und freundlich – lächeln einen immer (authentisch) an, wenn sie vorbei laufen. Das schafft noch zusätzlich eine wohlige Atmosphäre. Ich genieße also meine einzige Kuchen-Alternativ-Option: einen Obstsalat, bis wir uns aufmachen zum Hafen.
“Die Seele ist das Schiff; Vernunft das Steuer
und Wahrheit der Hafen.”
– Aus der Türkei
Was für ein hübscher Hafen! Er ist klein aber wirklich schön. Nichts hier wirkt bedrohlich – ein Ort an dem man vermeintlich gerne Kinder groß ziehen würde. Doch die Menschen, die hier aufgewachsen sind, sehen Manches halt mit anderen Augen, so wie auch ich meine Heimatstadt. Denn hat man nun viel Schlimmes erlebt, sind diese Orte der Vergangenheit mit negativen Gefühlen belastet.
Viele Menschen, denen es so geht, vermeiden Reisen in die Heimat komplett. Ich kenne einige Freunde und Bekannte, die das lieber so handhaben, als sich mit den Erinnerungen zu quälen.
Auch meiner “Stadtführerin” geht es teilweise so, aber sie verarbeitet lieber als zu vermeiden und zu verdrängen und kann auch die positiven Erinnerungen in sich aufrufen. – Das schafft einfach nicht jeder. Was auch in Ordnung ist, solange es einen nicht in seinem Leben einschränkt. Man kann sich ja auch eine neue Heimat aufbauen, dort wo man sich wohl fühlt und nicht zwangsläufig, wo man geboren wurde.
Wieso braucht denn überhaupt irgendwer eine Heimatverbundenheit? Wo kommt sie her? Ein Blick auf die Geschichte zeigt: Im Mittelalter war “Heimat” ein klar definierter Rechtsbegriff. Eine Heimat zu haben, bedeutete Haus und Hof in einer Gemeinde zu besitzen. Wer “Heimatrecht” (durch Geburt, durch Verheiratung oder Hauskauf) hatte, durfte sich in einer Siedlung niederlassen, dort leben und seinem Handwerk nachgehen.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts erfuhr der Heimatbegriff eine weitere Bedeutungswandlung. Die fortschreitende Technisierung und Industrialisierung hatte die Lebensräume der Menschen so verändert, dass sie sich entfremdet fühlten. Alles entwickelte sich zu schnell – viele Menschen kamen mental nicht mehr hinterher. Heimat entwickelte sich dadurch zum Gegenentwurf einer Realität, in der die Menschen sich nicht mehr zurecht fanden. Sie retteten sich in alte Werte.
Dieses Phänomen scheint sich heute zu wiederholen. In einer Zeit in der die Menschen oft perspektivlos sind, die Verlierer im Kapitalismus sind und somit vermeintlich wenig vorzuweisen haben auf das sie stolz sein können, stürzen sich die Menschen auf Heimatstolz. Aber eben leider gleichzeitig auf Ängste, dass diese Heimat sich durch den Einfluss von Fremden verändern könnte, dass die eigene Heimat, oder auch in einem größeren Rahmen: Deutschland, einem fremd wird – dieses “letzte bisschen Sicherheit und Beständigkeit”. Das Fremde wird also als Bedrohung der Heimat/ihrer Sicherheit definiert. Bedeutet aber auch: Wer hier nicht geboren wurde, gehört nicht dazu – Abgrenzung statt Integration und Toleranz. Dabei sagte doch schon Gandhi sehr treffend:
“Misstrauen ist ein Zeichen von Schwäche.”
Doch diese Gedankenänge sind auch nichts Neues. Die Geschichte dieses Landes kennt sie bereits ausführlich. Und wer nun beim Lesen insgeheim noch ein gewisses Verständnis für die Ängste vor Überfremdung und Verlust der deutschen Identität aufbringen kann, reiht sich ein in “bester Gesellschaft” mit dem: Thüringer Heimatschutz – so nannte sich eine Neonazibande in den Neunzigerjahren, in der auch die späteren NSU-Terroristen aktiv waren; die NPD bezeichnete sich jahrelang als „die soziale Heimatpartei“; und auch andere Rechtsradikale nennen sich stolz „heimattreu“. In Dresden verkündeten Pegida-Anhänger bei ihren Demonstrationen auf Plakaten: „Heimatschutz statt Islamisierung!“
“Wahrheit ist etwas so Kostbares, daß Politiker
nur sehr sparsam damit umgehen.”
– Mark Twain
Ja, Heimat – dieser Begriff ist umgangssprachlich zumeist positiv besetzt. Er klingt harmlos und genau deswegen taucht er immer wieder auf, wenn sich Rechtsradikale moderat präsentieren wollen. Ängste vor Fremden, Sehnsüchte nach Heimat und Identitätsbildung durch Ausgrenzung sind also eindeutig in der Rechten beheimatet. “Ich bin ja kein Nazi, aber…..” sollte spätestens damit entlarft sein. (Da KANN einfach nichts Sinnvolles kommen!)
Zu dem Feind der braunen Seite wird damit aber auch Jeder, der den (fast schon) “Fetisch” um die Heimat ablehnt: Moderne, kosmopolitische Ideen stehen im Gegensatz zum starren Heimatbegriff der neuen Rechten. Die Antifa, die die Abschaffung von Grenzen und Nationalstolz fordert, ist damit das ultimative Feindbild. Rechtsradikale skandieren so auf Demonstrationen gerne gegen die Linke, die sich ihnen entgegen stellt, mit: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!“
Aber wir wollen nicht gehen (zumindest nicht aus diesen Gründen) und werden uns sicher nicht vertreiben lassen!!! Wir möchten dass diese menschenverachtenden Gedankengänge aus den Köpfen verschwinden und setzen uns aktiv für Menschlichkeit und Toleranz ein!
Nur will (und kann) sich die Gegenseite nur schwer von dem starren Bild der Heimat, als einmalige und unveränderliche Identität einer regionalen Herkunft, trennen. Sie haben die Befürchtung, wer sich einmal von seiner Heimat löst, kann keine neue mehr finden. – Eine Angst weitere Stabilität zu verlieren. Doch andere Menschen aus verschiedensten Ländern schaffen es auch, leben ein glückliches Leben, ganz ohne dieses starke, melancholische Klammern an eine veralteten Idee ihrer Herkunfts-Region.
Diese Fixierung kann nur negativ für das einzelne Individuum und eine Gemeinschaft allgemein sein. Denn Heimat ist nicht zukunftsgewandt, sondern ausschließlich rückwärtsbezogen. Der Status des Heimatvertriebenen wird so sogar über die Generationen weitergereicht und damit auch oft das Trauma. Der Psychoanalytiker Paul Parin merkte passend zum Thema analytisch und recht trocken an: “Je schlimmer es um einen Menschen bestellt ist, je brüchiger sein Selbstgefühl ist, desto nötiger hat er oder sie Heimatgefühle, die wir darum eine Plombe für das Selbstgefühl nennen.“
“Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.”
– Mahatma Gandhi
Ich für meinen Teil bin, wie ich bereits anmerkte, nicht stolz auf die Gegend in der ich zufällig geboren wurde und damit auch nicht auf dieses Land. Mein Stolz begrenzt sich auf die Errungenschaften, die ich durch meine harte Arbeit und viel Herzblut selber geschafft habe. Und ich denke genau so sollten wir es alle handhaben.
Wir sollten sicher stellen, dass alle Menschen in Verhältnissen leben können, in denen sie zu starken Individuen reifen, die sich ihrer selbst bewusst und offen gegenüber Neuem sind. Und dadurch auf der Gegenseite keine diffusen Gefühle benötigen, um sich notdürftig eine Identität zu konstruieren. Lebt ihr ein glückliches Leben, dass ihr euch selbst aufgebaut habt Stein für Stein; habt ihr eine Krankheit bekämpft oder kämpft im Moment; seid ihr anderen ein guter Freund (/Tochter/Sohn/Vater/Mutter) oder engagiert euch sozial? – Seid stolz auf euch! Findet “Heimat”, also ein “Zuhause” und Ruhe in der Nähe eurer Lieben.
“Je kaputter die Welt draußen, desto heiler muss sie zu Hause sein.”
– Reinhard Mey
Als wir uns so langsam auf den Nachhauseweg begeben, bedanke ich mich für die Führung und den tollen Tag. Es hat mir so gut getan hier am Wasser zu sein, den schönen Hafen zu sehen, die Ruhe dieser Gegend aufzusaugen.
Darauf sagt sie: “Es war wirklich schön. Vielen Dank, dass ich durch dich meine Heimatstadt wieder mit anderen Augen sehen konnte.”
vgl. www.stadt-barth.de | Patrick Gensing – www.taz.de | Ulrike Vosberg – www.planet-wissen.de
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1 Kommentar auf "Heimatliebe? Nope! (Barth an der Küste erkunden)"