Unter Einbeziehung von “Warum Liebe weh tut” – von Eva Illouz
(Nein, es ist kein neuer Roman der vor Herzschmerz trieft – wie der Name vermuten lässt. Und es ist auch kein Psycho-Ratgeber. Es ist das Werk einer ausgewiesenen Wissenschaftlerin, denn Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Auch wenn es sich zeitweise schwermütig liest, ist das Buch sehr zu empfehlen! Besonders, wenn ihr euch zu diesem Thema noch intensiver informieren wollt.)
„Valentinstag? Das ist doch alles nur Konsum und Kitsch!“ – so denken viele. Trotzdem sind unzählige Singles insgeheim enttäuscht, dass sie am 14. Februar von niemandem Blumen oder Pralinen geschickt bekommen. Während manche den Tag tapfer ignorieren, feiern die Liebenden ihren offiziellen Tag. Sie gedenken ihrer Zweisamkeit und drücken jedem ihr Glück auf Instagram und Co. ins Gesicht. Wer hingegen die Liebe verloren hat, schwelgt an diesem Tag gern mal in Gedanken, melancholisch zurück an vergangene Zeiten.
Ja damals in der Jugend, als noch alles unwichtig war, außer die Gefühle füreinander und einfach eine gute Zeit zu haben. Da war die Welt noch in Ordnung. Man wollte sich einfach nah sein, sooft es nur ging. Konnte sich beieinander fallen lassen und hat sich geliebt, gewertschätzt und begehrt gefühlt, ohne wenn und aber. Es war einfach unkompliziert.
Hingegen scheint heutzutage nichts mehr genug zu sein. Mit jeder misslingenden Beziehung, die wir führen und jedem unrealistischen Liebesfilm den wir sehen, werden wir verkorkster. Da wir wissen, dass Beziehungen immer wieder scheitern, reagieren darauf mit einer vorsichtigen, leicht distanzierten, ironischen Grundhaltung. Zeitgleich erhöhen sich unsere Erwartungen und steigen bis ins Unermessliche. Irgendwann kann wohl Niemand mehr diese Ansprüche erfüllen.
Während viele Menschen wissen, dass die Vorstellung von einer perfekten Beziehung unrealistisch ist, lassen sich noch immer viele von Filmen und Büchern beeinflussen. Sind also Liebeskomödien mit schuld, wenn unsere Partnerschaften und die Suche nach einer nicht funktionieren?
Eva Illouz, Professorin für Soziologie, formuliert in ihrem Buch dazu:
„Weitverbreitete Bilder der Liebe können zu dem Gedanken verleiten, dass anderen eine Liebe geglückt ist, die uns versagt blieb, und dass eine geglückte Liebe für ein erfolgreiches Leben normativ von Bedeutung ist. Die so ausgelöste Unzufriedenheit kann eine chronische Enttäuschung nähren.“
Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang
der Unzufriedenheit.“
– Søren Kierkegaard
Manch ein Zuschauer lässt also zu, dass ihr Leben ein endloser Kreislauf schaler Enttäuschungen wird, durch den Vergleich des eigenen Partners mit fiktionalen Vorbildern. In Filmen wird so u.a. vermittelt, der Sex in einer Beziehung müsse jederzeit perfekt sein – und der richtige Partner sei in der Lage, einem jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Fast schon übermenschlich.
Studien belegen eindeutig: Liebesbeziehungen haben eine zentrale Bedeutung für die Befindlichkeit der meisten Menschen. Entsprechend negativ sind die psychischen und gesundheitlichen Auswirkungen von ungelösten Beziehungskrisen und Trennungen.
Menschen, die in einer Beziehung leben, messen die Qualität ihrer Partnerschaft an ihren Vorstellungen und Idealen über die Liebe – ein ganz normaler Vorgang. Doch sind die Ideale oft geprägt durch alltägliche mediale Einflüsse. Besonders die Vorstellung einer sogenannten „romantischen Liebe“ bestimmt heute unsere Beziehungen, unseren Alltag, unsere Wahrnehmung, mehr als je zuvor.
Es wirft aber auch kaum etwas so viele Fragen auf, wie die nach dem Gelingen romantischer zwischenmenschlicher Beziehungen.
Wie sieht eine gute Liebesbeziehung aus? Was sind die Voraussetzungen, um in einer Beziehung glücklich sein zu können? Welche Ansprüche darf man an eine Beziehung stellen, und welche nicht? Wann sollte man sich trennen? Was ist Liebe, was ist Liebe nicht? Gibt es eine Liebe auf die richtige Weise? Woran erkennt man den richtigen Partner? Wie viel Gemeinsamkeit braucht die Beziehung und wie viel Freiraum braucht der Einzelne? Was sollte man alles verzeihen? Warum ist unser Selbstwertgefühl so eng mit der Liebe verbunden?
Die Medien liefern vermeintliche Antworten. Außerdem wollen wir uns in Filmen über Romantik verlieren, abschalten vom Alltag oder nach einer einschneidenden Trennung neuen Mut schöpfen, denn: „Es geht ja offensichtlich auch anders!“ Doch kritisieren manche die Realitätsferne. Wenn es in den „Erwachsenen-Märchen“ der Filmindustrie so laufen würde wie im realen Leben, würden sie aber auch keinen Erfolg haben, meinen hingegen viele. Dabei gibt es doch auch genug erfolgreiche Gegenbeweise. Jene, die die Realität zumindest etwas glaubhafter darstellen. Nämlich dass Liebe nicht immer geradlinig und perfekt verläuft. Dass man sich auch streitet und uneinig ist. Dass es Auf und Ab´s gibt – gute und schlechte Zeiten. Und dass man sich manchmal verlieren muss, um zu wissen, was man hatte. Manchmal findet man die Liebe halt über Umwege. Und manchmal verliert man sie auch und muss mit den Folgen leben.
Die Wenigsten von uns haben das Glück ihre „wahre Liebe“ in der Jugend kennenzulernen und zu behalten, dauerhaft glücklich miteinander zu bleiben. Oft war man voller jugendlicher Euphorie und verlor die Leidenschaft dann über die Jahre, irgendwo auf dem gemeinsamen Weg. Das liegt daran, dass die meisten Menschen versuchen, gleichzeitig ein Sicherheits- sowie ein Abenteuerbedürfnis zu befriedigen und scheitern. Sicherheit gilt bei den meisten als Ende der Leidenschaft, als unvereinbar mit ihr. Sie versuchen spannend zu bleiben, sexy und abenteuerlustig. Und doch schleicht er sich langsam ein, dieser böse Geist namens „Alltag“.
Das moderne häusliche Leben ist nun mal hochgradig vorhersehbar, ausgelöst durch eine strenge Zeitdisziplin, die den Alltag erleichtern soll. Das wird noch gewichtiger, wenn Kinder in das Leben treten. Das Rationalisieren des täglichen, häuslichen Lebens genannt, wobei Rationalisierung in etwa „vernünftig machen“, „einen Sinn geben“ bedeutet. Das was also das alltägliche Leben ordnen und erleichtern soll, ist am Ende die Schlinge, die die Leidenschaft vermeintlich langsam ausmerzt.
„Somit führt die Rationalisierung des täglichen Lebens zu einer Langeweile, die wir permanent stillschweigend mit den Modellen emotionaler Erregung, Intensität und Fülle vergleichen, wie sie uns die Medien vor Augen führen.“ – Eva Illouz
Der Vergleich unseres organisierten Lebens mit der Aufregung und Expressivität des Lebens fiktiver Charaktere, ist also der Auslöser unserer Enttäuschungsgefühle. Aber nicht nur der Vergleich mit Filmpaaren, die mit Leichtigkeit ihre Leidenschaft erhalten, bringt Konflikte. Die Arbeitswelt verlangt den Menschen mehr ab als noch vor einigen Jahren. Stress steigt und entwickelt sich als Beziehungskiller: Wer gestresst ist, ist dünnhäutiger und reizbarer als üblich – da kommt es schnell zum Streit. Hinzu kommt, dass das Paar durch den vermehrten Arbeitsaufwand der Neuzeit zu wenig Zeit und Muße füreinander hat. Und: Wer gestresst ist, hat zudem weniger Lust auf Sex.
Auch beobachtet man in unserem Kulturkreis häufig einen Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und Verbundenheit einerseits und dem Anspruch auf Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit andererseits. Therapeuten sagen, besonders bei jüngeren Frauen ist die Tendenz zu beobachten, dass ihr Wunsch nach Nähe an die Angst gekoppelt ist, ihre Eigenständigkeit zu verlieren und in Abhängigkeit zu geraten.
Und wenn wir ehrlich sind, stehen auch wir selbst exemplarisch für diese immer stärker werdenden Freiheitsbedürfnisse. Oder könntet ihr euch vorstellen, sofort mit 17/18 bei den Elten aus und bei einem Ehemann einzuziehen? Die Meisten wollen dann doch erstmal in die weite Welt, in eine bunte WG irgendwo in einer großen Stadt.
Bis zum Zeitalter der Industrialisierung im 19. Jahrhundert sah das noch ganz anders aus…
„Durch den Prozess der Industrialisierung wurden auf ökonomischem, politischem, sozialem und letztlich auch philosophischem Gebiet Entwicklungen ausgelöst, die zu einem deutlichen Umbruch der traditionellen Gesellschafts- und Lebensform führten. Während Kirche und Landwirtschaft – bis dahin Bewahrer und Horte der Tradition – an Bedeutung verloren, emanzipierte sich das Bürgertum, die alten Stände lösten sich auf, die Bevölkerung sammelte sich zunehmend in Städten und Bildung war nicht mehr das Privileg des Adels oder der Reichen.
Die zunehmende Bedeutung von Technologie und Wissenschaft veränderte das Denken, und auf politischer Ebene entwickelten sich neue, ökonomiezentrierte Staatsformen, von denen insbesondere die Kombination aus Demokratie und Kapitalismus die Idee des Individualismus förderten. In einer Gesellschaft, die einerseits auf Chancengleichheit und andererseits auf wirtschaftlichem Wettbewerb basiert, ist der einzelne Mensch für sein Glück selbst verantwortlich, verfolgt eigene Ziele und wird versuchen, sein Leben aus eigener Kraft zu verbessern.“ – Dipl.- Psych. Elsbeth Freudenfeld
Die Ideen von persönlicher Entscheidungsfreiheit, Selbstverantwortung und dem Recht auf Selbstverwirklichung prägen heutzutage das Leben bis in den Bereich der engsten persönlichen Beziehungen und bewirkten einen Wandlungsprozess in den Vorstellungen von Liebe und Ehe. Die Idee der Vernunftehe wurde abgelöst von dem Ideal der Liebesehe. (vgl. Freudenfeld)
„Es waren politische und ökonomische Veränderungen nötig, um die bis dahin patriarchal-hierarchische Familienstruktur in eher egalitäre Strukturen zu überführen, um die vor allem für Frauen sehr repressive Sexualmoral zu liberalisieren, um die strikte Trennung zwischen den gesellschaftlichen Klassen aufzuheben, die Gleichberechtigung der Frauen voranzutreiben, die Kindheit als eine besondere Berücksichtigung und Schutz verdienende Lebensphase aufzufassen und das Ideal der romantischen Liebe aufkommen zu lassen.“ – Dipl.- Psych. Elsbeth Freudenfeld
Dass das Unglück in der Liebe heute größer ist als in früheren Jahrhunderten will ich keinesfalls behaupten, wohl aber dass es heute andere Grundlagen hat und andere Formen annimmt. Was versteht man nun unter dieser “romantischen Liebe” zu unseren Zeiten des postmodernen Konsumkapitalismus, der alle so hinterherträumen?Sprecher und Metts (1989) formulieren fünf zentrale Überzeugungen, die das Wesen der modernen romantischen Liebe umschreiben:
– Wahre Liebe kann „auf den ersten Blick“ eintreten.
– Es gibt nur eine einzige wahre Liebe.
– Wahre Liebe kann jedes Hindernis überwinden.
– Wahre Liebe ist perfekt.
– Bei der Wahl des Partners muss man dem Herzen folgen und darf keine
rationalen Erwägungen in Betracht ziehen
Es ist also in der Menschheitsgeschichte eine noch sehr junge Vorstellung, dass nicht aus ökonomischen Gründen eine Partnerschaft eingegangen wird, sondern aus Liebe. Die moderne Marktwirtschaft hat das Verhältnis zwischen Männern und Frauen verändert. Die Zeiten von arrangierten Hochzeiten sind vorbei und ebenso die von dem großen Helden, der die unschuldige Jungfrau rettet.
Klassische Rollenverteilungen sind passé. Frauen wollen heutzutage weder gerettet, noch zu einer unauflöslichen Beziehung von Verwandten gezwungen werden. Die neue Entscheidungsfreiheit bringt den Vorteil der persönlichen Selbstverwirklichung, aber eben auch Verantwortung für die eigenen Entscheidungen auf der anderen Seite. Wir müssen nicht nur mit den Konsequenzen unserer Entscheidungen leben, sondern auch vor anderen dafür gerade stehen. Ein enormer Druck ist entstanden.
Filme sind Quelle von Wünschen nach romantischer Liebe, zeigen wie es einfach geht sich zu verlieben und glücklich zu werden. Und da nehme ich mich nicht raus, gerade im Moment sitze ich ständig vor Sendungen und Filmen und schluchze unentwegt mit dem Gedanken im Kopf: „Das will ich auuuuuch!“ Oft genug höre ich süßliche Lieder und ertappe mich, wie ich mir wünsche, dass ein Mann einmal für mich solche tiefen Gefühle musikalisch auszudrücken versucht.
Nun hatte ich bereits solche Filmreifen Beziehungen. Ich war mit einem Künstler zusammen, der mich, als seine Muse auserkoren, ständig malte. Wir lebten in einem kargen Zimmer, nur mit einer Matratze auf dem Boden, seinen Zeichenuntensilien überall verteilt und seinen Gemälden an der Wand. Viele Jahre zuvor datete ich einen Sänger, der immer während des Auftrittes durch den ganzen Konzertraum lief bis zu mir, sich mit einer Hand an der Wand stützte, in der anderen das Mikro, seine Stirn an meine lehnte, und weiter sang. Er war chaotisch, witzig und aufregend.
Meine erste große Liebe war ein politischer Aktivist. Wir rannten wie Bonny und Clyde Hand in Hand vor der Polizei weg, über Zäune, Autodächer und was uns sonst im Weg stand. Nachts hielten wir uns aneinander fest. Er gab mir Kraft, war mein ganzer Halt. Zu stürmischen Zeiten war er meine letzte Hoffnung an eine bessere Welt, die wir in der Hand haben. Und natürlich meinen Profiskater nicht zu vergessen – dieser Weltenbummler, tiefgründig und selbstzerstörerisch. Nie wusste man was einen erwartet, wenn der neue Tag begann. Ich lachte mit ihm bis mir die Tränen kamen; wir reisten mit nichts um die Welt; liebten uns am Strand, skateten in den Sonnenuntergang.
Doch eins verband diese Beziehungen: diese Männer boten Null Sicherheiten, stattdessen aber 100% Abenteuer. Als Folge der schon vorher verdammten Beziehungen, bestärkten sie meine Ängste vor der Zerbrechlichkeit und Austauschbarkeit von Gefühlen und prägten mich nachhaltig. Eins hatten sie alle innewohnend: sie haben (scheinbar) vor nichts Angst und legen schneller als üblich großes Vertrauen in neue Bekanntschaften. Sie sind es gewohnt mit Leichtigkeit Intimität aufzubauen, öffnen sich schnell und erzählen tiefe Geheimnisse, Erfahrungen und Wünsche. Fördern und nähren mit den Offenbarungen das rasche Aufkommen von Gefühlen in einem. Zumeist ist es eine vorgespielte Intimität – eine beliebte Masche zum Erobern von Frauen mit romantischen Wünschen.
Viele Werke Hollywoods stellen ebenfalls fälschlicherweise dar, dass Vertrauen und Bindung vom ersten Moment an existiert. Wohingegen dies aber normalerweise Jahre braucht, um sich zu entwickeln. Infolgedessen dass es in der Realität nun einmal Zeit und Investment benötigt, gehen viele Menschen Zeitlebens lieber den einfachen Weg, wagen nie oder kämpfen um etwas. Sie verlassen den Partner bei den ersten Problemen.
Das Glück des Lebens besteht nicht darin, wenig oder keine Schwierigkeiten zu haben, sondern sie alle siegreich und glorreich zu überwinden.“
– Carl Hilty
Der Verlust der Fähigkeit sich auf die volle Erfahrung der Leidenschaft einzulassen, sowie Zweifeln und Unsicherheiten zu widerstehen, ist quasi das neue, moderne Leid der Liebe geworden.
Es scheint doch wie verhext! Man kann am Ende noch so einem Ideal entsprechen, noch so hübsch, intelligent oder witzig sein, wenn einem der Falsche gegenüber steht, oder auch „der Richtige“ zur falschen Zeit, wird er es nicht in einem sehen. Und man selbst wird es auch nicht in dem Anderen sehen können in der selben Szenerie. Die möglichen Gründe dafür sind zahlreich. Neben den bereits vorgebrachten, hat man vielleicht Angst davor wieder verlassen oder anders verletzt zu werden, oder sehnt sich insgeheim wieder zurück zu einer alten Liebe. Manch einer verliert sich auch in dem Gefühl des Begehrens anderer an sich und verliert so gänzlich seine Bindungsfähigkeit. Das geht auf das Konto der unzähligen Möglichkeiten der Wahl – ein entscheidendes kulturelles Kennzeichen der heutigen Konsumgesellschaft.
Mann kann nicht leugnen, dass sich die Auswahl möglicher Beziehungspartner durch den Wegfall sozialer und geografischer Schranken, nicht zuletzt aber auch durch Facebook, Instagram und Online-Kontaktbörsen, immens vergrößert hat. Die Qual der Wahl klingt erst einmal eher wie ein postiver Faktor – schließlich müssen wir nicht mehr aus den 8,9,10 jungen Männern in unserem fitzelkleinen Dorf auswählen, sondern die Welt steht uns offen. Das wirft aber auch erneute Fragen auf: Ist er, oder ist sie, wirklich der/die Beste, Schönste, Klügste? Oder könnte ich nicht noch jemanden finden, der besser ist oder zumindest besser zu mir passt? Jemand, mit dem ich dieses eine, begrenzte Leben wirklich teilen will? Das verunsichert und hinterlässt in den meisten Beziehugen einen faden Geschmack des “Was wäre wenn?”.
Bekannter als dieses Phänomen sind sexistische Rollenverteilungen alá „die zurückhaltende Frau“ und „der distanzierte Mann“durch Werbung und Co. der kapitalistischen Welt . Dieses Bild geht bereits auf das 19. Jahrhundert zurück, als die emotionale und sexuelle Zurückhaltung der Frau für Schicklichkeit und Selbstkontrolle stand. Das erhöhte ihren moralischen und gesellschaftlichen Status. Denn obwohl sie in den meisten Bereichen des gesellschaftlichen Daseins weitgehend rechtlos waren, hatten sie eine starke Position im damaligen Liebeswerbens. Der Mann musste Interesse durch Gefühlsoffenbarungen zeigen, sie konnte auswählen und sich gegen ihn entscheiden zu jeder Zeit. Männliche Qualitäten waren Entschiedenheit und Zielstrebigkeit.
Auch wenn das Verehren der unnahbaren Frau bis heute nachhallt, haben sich traditionelle Bindungsmuster tiefgreifend gewandelt. Die Bindungsbereitschaft der Menschen sinkt merklich. Dieses Zögern kann man an dem veränderten Durchschnittsalters von Ehen ablesen, an der sinkenden Halbwertszeit der ehelichen Verbindung und an der Zunahme nicht-ehelicher Bindungen. Diese beinhalten mehr individuelle Freiheiten und weitaus weniger Verbindlichkeit. Die Gründe dieser Veränderungen werden von unzähligen Soziologen und Psychologen untersucht, die verschiedenste Erklärungsmodelle dazu ausgearbeitet haben.
Manche betonen evolutionäre Gründe, weshalb Männern grundlegende Fähigkeiten für eine monogame Beziehung fehlen. Andere gehen davon aus, dass das männliche, heterosexuelle Geschlecht sich verwirrt oder bedroht fühlt durch die wachsende Macht und Autonomie der Frauen. Eine Betrachtungsweise widmet sich dem Modell der männlichen Psyche, welches sich gegen eine (erneute) Abhängigkeit von Frauen und eine Bindung mit ihnen wehrt, ausgelöst durch die erzwungene Loslösung von der Mutter. Demnach streben die Männer durch die Sozialisation nach Getrenntheit und Autonomie, Frauen nach Bindung. Das sind alles interessante Ansätze und doch ist ihnen allen ein Manko gemeinsam: sie pathologisieren das männliche Verhalten und feiern die weibliche Psyche.
Betrachtet man also weibliche und männliche Bindungsprobleme getrennt voneinander, zeigt sich deutlich, dass es faktisch einen Umbruch in der Identität von Männern und Männlichkeit gab. Ursprünglicher “Werte” wie männliche Unabhängigkeit, Autorität im Haushalt und gegenseitige Solidarität wurden in der Spätmoderne allesamt geschwächt. Sexualität hat sich in diesem Kontext zu einem der wichtigsten Statusmerkmale der Männlichkeit entwickelt. Sozialen Status über sexuelle Dominanz über Frauen gab es schon zu Zeiten von Casanova und ist keine Erfindung von Hugh Hefner oder anderen Playboys. Heute ist allerdings die sexuelle Erreichbarkeit von Frauen unabhängig von der ökonomischen Macht des Mannes, von Reichtum und Status. Das bewirkt, dass nun auch ein „gewöhnlicher Mann“ seinen Traum von sexueller Polygamie leben kann und die Eroberungen und sein jeweiliger Sex-Appeal nun als soziales Statusmerkmal gelten.
Entscheidet Mann sich für eine Beziehung, ist vielen aber nach wie vor unklar, wie sie eine moderne Partnerschaft führen können, in der sie weiterhin geliebt und gebraucht werden, auch ohne der klassiche, traditionelle Ernährer zu sein. Ein Teil versinkt in Angesicht der überfordernden Aufgabe in Selbstmitleid. Andere überkompensieren ihre Unsicherheit und treten besonders forsch und aggressiv auf, messen ihren Marktwert an der Anzahl ihrer Eroberungen. Die Familienplanung eilt ja eh nicht.
Überhaupt lässt man in dieser Gesellschaft den Mann ziemlich in Ruhe seine persönlichen Entscheidungen treffen, während eine Frau sich heute offenbar immer noch daran messen lassen muss, ob sie eine gute Ehefrau und Mutter ist. Sie zeigen sich am Ende bindungsfreudiger als FOlge des gesellschaftlichen Durcks. Eva Illouz argumentiert in ihrem Buch die Gründe für eine stärkere Bindungsbereitschaft der Frauen ebenfalls mit den veränderten Anforderungen der heutigen Zeit. Die höhere Bildung und der Eintritt in den Arbeitsmarkt als Zeichen von Autonomie der modernen Frau, führen dazu, dass sich Frauen immer später auf den Heiratsmarkt begeben und dadurch einem größeren Zeitdruck unterliegen Nachkommenschaft zu zeugen.
Heutige Frauen entscheiden sich immer noch in überwältigender Mehrheit für eine Mutterschaft. Moderne Kriterien der „Sexyness“, in Werbung, Film und Fernsehen durch die Schönheitsindustrie propagiert, üben zusätzlich Druck auf den weiblichen Geist aus und betonen stetig den Prozess des Alterns. Mit diesem Einfluss der einem ständig vorhält, dass die Biologie einem Schranken setzt, findet die Partnerwahl in einem sehr begrenzten Zeitrahmen statt. Das erhöht die Bereitschaft eine Partnerschaft einzugehen.
Wenn Frauen von den Zwanzigern in die Dreißiger übergehen (…), verlagert sich insgeheim das Machtgleichgewicht. Selbst die coolsten Frauen verlieren die Nerven und haben mit den ersten Anfällen von Lebensangst zu kämpfen: zum Beispiel einsam und allein zu sterben und Wochen später gefunden zu werden, angenagt vom eigenen Schäferhund.“
– Bridget Jones, Schokolade zum Frühstück
Nicht nur das ist eine Folge der Medien und ihrer sexistischen (/lookistischen) Propaganda der Großkonzerne und anderen Ton-Angebenden. Durch das Betonen des menschlichen Wertes durch sein/ihr Aussehen wird attraktiv und begehrt zu sein, zum Fundament eines stabilen Selbstbewusstseins. Nie zuvor in der Geschichte haben Menschen so stark die Anerkennung der anderen gebraucht, um sich wertvoll zu fühlen.
Verschiedenste Faktoren führen obendrein dazu, dass Männer aus einem wesentlich größeren Angebot wählen können, als Frauen. Die Furcht eine Bindung einzugehen, kommt daher auch durch die Lücke, die zwischen dem kulturellen Ideal einer dauerhaften festen Beziehung und den ungenügenden Ressourcen auf der anderen Seite besteht.
Versucht sich ein Mensch des 21. Jahrhunderts dann auf ein Date einzulassen, ist ein normaler Interaktionsfluss oft kaum mehr möglich, da das Gegenüber unterschwellig mit vorhandenen Modellen einer Idealform, mit Profilen von Fehlgriffen und psychologischen Typisierungen verglichen wird. Auch das ein klassisches Phänomen der Neuzeit: eine „minutiöse, detailgenaue, psychologische Art und Weise, andere zu beurteilen, ist allgegenwärtig geworden.“, sagt auch Frau Illouz dazu. Wir versuchen uns zu schützen, indem wir vorher analysieren, was uns eventuell erwarten könnte bei dem jeweiligen Gegenüber. Dabei verlieren wir die Leichtigkeit des Verliebens, die „Magie des Kennenlernens“. Die Filmindustrie lässt das Verlieben oft so leicht aussehen. So wie wir in Teenagerzeit auch noch waren – unbeschwert, ohne Ängste, die uns plagten, ohne tausende Theorien der modernen Psychologie im Kopf. Das Herz und tja irgendwie auch sexuelle Anziehung trafen die Wahl.
Eine Wahl kann generell das Resultat eines aufwendigen Prozesses der Selbstbefragung, mit Prüfung alternativer Vorgehensweisen, oder das Ergebnis einer gefühlsbasierte Spontanentscheidung sein. In Beziehungsfragen am ehesten eine Mischung aus beidem. Diese Mechanismen sind sowohl subjektbezogen, als auch kulturell geprägt. Meine Entscheidungen waren offenkundig nicht sonderlich rational logisch, sondern emotionaler, intuitiver Natur. Hätte ich ausführlich darüber reflektiert, Vor- und Nachteile abgewogen, wäre mir bewusst geworden, wie unpassend diese Kandidaten sind. Doch dann wäre ich eventuell wieder zu „minutiös, analytisch, psychologisch“ vorgegangen. Tja, wie man es macht…
Unabhängig der tragischen Trennungen bin ich mir sicher, dass einige Leser(innen) schluchzen müssen bei meiner Beschreibung der Beziehungen – „Ein Traum sowas! Musiker, Künstler, Extremsportler, Models und Co. zu daten!“ Wie in einem modernen Groschenroman, voller Glamour und Abenteuer. Doch das ist es nicht. Diese stete Spannung und Intensität ist doch exakt das, was uns in aktuellen Medien als „romantische Liebe“ vorgesetzt wird. Aber es beinhaltet nicht sonderlich viel Romantik, bindungsgestörte Egozentriker zu daten. Glaubt mir das! Einen Mann an der Seite zu haben, der sich jeden Tag für einen entscheidet, das über Jahre und mit dem Bewusstsein der viele Optionen dort draußen, der einen bedingungslos liebt durch schwere und gute Zeiten – DAS ist wirklich erstrebenswert!
Ich bin nichts Besonderes, nur ein gewöhnlicher Mann mit gewöhnlichen Gedanken. Ich habe ein gewöhnliches Leben gelebt. Niemand hat mir ein Denkmal gesetzt und mein Name wird bald vergessen sein. Aber in einer Hinsicht war ich unglaublich erfolgreich: Ich habe einen Menschen mit ganzem Herzen und ganzer Seele geliebt und das war mir immer genug“
– the Notebook
Bedeutet in der Umsetzung: Nicht Film- und Buchhelden mit einem realen Mann vergleichen, sondern Männer aus der Realität zwischen einander. Guckt auf eure Erfahrungen und hört in euch hinein, was eure Bedürfnisse dabei sind. Nicht tot analysieren was passiert oder falsch gelaufen ist, sondern auf die Gefühle achten.
Wählt nicht aus den Männern, die sich für euch interessieren, sondern hört auf eure Gefühle, die diese Bewerber in euch auslösen oder eben nicht. Fangt damit an, ganz bewusst wahrzunehmen, in welchen Situationen ihr euch mit wem gut fühlt. Es ist eure Lebenszeit, die ihr mit ihnen verbringt – wählt den Weggefährten dafür weise.
Habt ihr denjenigen Welchen gefunden, nehmt euch Zeit einander kennenzulernen und fleißig mit eurem Partner darüber reden, was ihr denkt und wollt. Denn wenn wir ehrlich sind, scheitern Beziehungen meist, neben den unrealistischen Vorstellungen, an der Kommunikationsfähigkeit, also mangelnder Streitkultur und fatalen Kommunikationsmustern.
Wie man es besser macht, muss man oft erst lernen. Manch einer meint daher, es sei besser, sich etwas später im Leben kennenzulernen, wenn man sich selbst bereits ausprobiert und gefunden hat und sich und seine Bedürfnisse schlussendlich auch besser kennt, sich auszudrücken gelernt hat. Aber es hat wohl eher etwas mit Erziehung und auch mit der Reife, als der Anzahl der Kerzen auf dem Kuchen, zu tun. An diesen Kompetenzen kann man auch gemeinsam arbeiten.
Schleicht sich Unzufriedenheit in die Beziehung, gilt es, die Frage zu stellen, ob sie dem Partner angelastet werden kann oder ob sie sogar in der eigenen Person begründet liegt. Außerdem ob sie in der momentanen Situation wurzelt, vorübergehend ist oder man aktiv etwas ändern kann. Wichtig auch: Wer viel zu kritisieren hat, sollte noch mehr loben, sonst kommt Unzufriedenheit mit Sicherheit. Der moderne Mann muss sich auf ein neues Rollenmodell einlassen, und erfahren, dass er auch gebraucht wird, ohne den Versorger zu spielen. Generell kann das Leiden beider Geschlechter an der Liebe gelindert werden, indem seine gesellschaftlichen Grundlagen verständlich gemacht werden. Lest und informiert euch!
Diese unsere Zeiten sind verrückt und wild, wir (in den westlichen Gesellschaften) können überall hin reisen, alles erkunden und werden wer wir wollen. Vieles von dem Glück, das moderne Formen der Liebe bietet, ist früher nicht denkbar gewesen. Dafür kann man dankbar sein und gleichzeitig mit offenen Augen und Herzem auf Probleme gucken, die die Selbstständigkeit, Autonomie und Selbstverwirklichung der Moderne mit sich bringt.
Abschließend noch ein Denkanstoß aus feministischer Richtung. Wenn auch noch so als frigide verpönt: der Feminismus von heute mag Sex sehr wohl und natürlich auch Männer und schlägt nicht mehr die Schlachten der 1970er Jahre. Er prangert heutzutage an, was sich in bald 50 Jahren nicht verändert hat: etwa die ökonomische Benachteiligung der Frauen. „Gleichheit, Freiheit, die Suche nach sexueller Erfüllung, Menschen, die Fürsorglichkeit und Autonomie beweisen, ohne auf Geschlechtszugehörigkeit zu achten – all dies ist Ausdruck der erfüllten Versprechen moderner Liebe und Intimität.“ – Das klingt toll, doch seit langem schon kritisieren feministische Denkerinnen die verbreitete Überzeugung, die partnerschaftliche Liebe allein sei die Quelle allen Glücks.
Glück ist, wenn ich zufrieden bin. Glück ist, wenn ich meine Ziele erreiche. Glück ist, mit der Familie eins zu sein. Glück ist, mit Freunden Spaß
zu haben. Glück ist, wenn ich bereit bin mein Leben zu genießen wie es
gerade ist.”
– Nicole Engelhardt
Viele Menschen versäumen das kleine Glück, während sie auf das Große vergebens warten.“
– Pearl S. Buck
Quellen:
Liebesstile, Liebeskomponenten und Bedingungen für Glück und Trennung bei deutschen und mexikanischen Paaren (Eine kulturvergleichende Studie) – Dipl.- Psych. Elsbeth Freudenfeld
Warum Liebe weh tut (Buch) – Dr. Prof. Eva Illouz
Hinterlasse einen Kommentar
10 Kommentare auf "Liebe zu Zeiten des Kapitalismus"