Allgemein, Für den Kopf

Höher, weiter: Karriere

„Ich halte Karrieren für eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Da lege ich keinen Wert drauf.“

– so gesagt vom Hauptakteur Christopher McCandless im Film:

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Sean Penns Werk erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich von materiellem Besitz lossagt, seine Ersparnisse in Höhe von 24.000 US-Dollar der Hilfsorganisation Oxfam International spendet, um sich mit einem Rucksack ausgestattet auf die Reise durch die USA zu begeben. Schlussendlich gelangt er in das traumhaft schöne Alaska. Wie auch in der wahren Begebenheit, die dem Film zugrunde liegt, bezahlt der Hauptakteur seine Suche nach Lebenssinn und Freiheit am Ende mit dem Leben.

Durch Nahrungsmittelknappheit und geschwächt vom Verzehr giftiger Schoten, verliert er rapide an Körpergewicht und stirbt in dem Bus in dem er Unterschlupf fand. Das scheint zunächst ein tragisches Ende für den Film und auch den echten Christopher, die die schönen Eindrücke und ausgelösten Emotionen trübt.

Doch macht genau dies auch eine große Portion der Wahrhaftigkeit aus, den der Film mit sich bringt. Chris musste in die Wildnis. Er hatte den Drang herauszufinden, was sein Platz in dieser Gesellschaft sein könnte. Er brauchte Abstand zu seiner Realität um wirklich offen zu erkennen, was er will, was ihn bewegt. Dass er auf seinem Weg am Hungertot starb, ist unfassbar tragisch. Aber mit der Verfilmung seiner Geschichte, hat er wenigstens vielen Menschen geholfen Mut zu fassen für eigene Abenteuer, das Konzept von Karrieren in Frage zu stellen und Freiheitsdrang in ihnen zu wecken. Der Tod gibt dem Leben seinen Sinn.

Der große Trip – Wild mit Schauspielerin Reese Witherspoon fällt auch in diese Sparte. Die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Cheryl Strayeds besticht ebenfalls mit Naturaufnahmen und gnadenlos-ehrlicher Darstellung menschlicher Charaktere im  Kontext der Naturgewalten.

Die Wanderung als ein Weg zu sich selbst. Ja, ja – ich höre schon die Menschen prusten. In den letzten Jahren ist diese Form der Selbsterforschung zum Selbstfindungs-Klischee für Hipster-Instagramer, Reiseblogger und allerlei Buchautoren verkommen.
Doch weg mit den Vorurteilen! Drohende Kitsch-Klippen konnten jedoch in beiden Filmen gekonnt umschifft werden und somit sind sie packende, zutiefst bewegende Dramen geworden.

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Was hat er nun in mir ausgelöst?

Es ist einer dieser ungewöhnlichen, aufregenden, angenehm unangepassten Filme, der mich alleine beim Gucken frei fühlen ließ und gleichzeitig äußerst nachdenklich machte. Was fange ich nur mit meinem Leben an? Ich fühlte unvermittelt den Drang in mir wachsen, ebenfalls in die Wildnis aufzubrechen, um mich selbst und Erkenntnisse zu finden. Die Natur ist auch für mich der beste Ort, runter zu fahren, Abstand zu bekommen von dieser Welt der Zerstreuung, eine Art von Bescheidenheit zurückzuerlangen . Man wird womöglich nicht zwangsläufig DIE wahren Antworten auf alles finden, aber sicher falsche Antworten ablegen, mit denen man sich unbemerkt umgeben hat.

„Wissen Sie, was ich glaube? Dass wir in eine Welt hineingeboren werden, in der sich niemand die Zeit nimmt, der zu werden, der er ist.“ – So Sean Penn, der Regisseur des Filmes in einem Interview mit der Zeit. Aber stimmt das? Ist es eine Zeitfrage? Haben wir oder nehmen wir uns nicht genug Zeit um die zu werden, die wir sein könnten, die beste Version unser selbst? Sind wir gefangen in einem gehetzten Leben nach der bestmöglichen Karriere, ohne uns wirklich zu verwirklichen?

Ich denke ja. Und warum überhaupt eine Karriere? Was ist das? Wer hat das erfunden? Ist es tatsächlich eine Erscheinung des 20.Jahrunderts und brauchen wir das wirklich? Umgangssprachlich bezeichnet Karriere in der Regel einen beruflichen Aufstieg, also einen „Weg nach oben“. Es handelt sich demnach um die persönliche Laufbahn eines Menschen in seinem Berufsleben – möglichst höher, weiter kommen!

Bei normalen Arbeitsverhältnissen gilt insbesondere der Aufstieg in der Hierarchie des Unternehmens bzw. der Organisation sowie der Gesellschaft allgemein, als Ziel. Und dann gibt es natürlich auch noch Fachkarrieren, das heißt das voran Kommen  in einer Expertenlaufbahn. Alle verbinden die entsprechenden finanziellen Vorteile sowie der Wunsch nach Ansehen, Status und Macht. Die Berufung ist also nicht mehr wegen der Tätigkeit an sich so erstrebenswert, sondern wegen der Vorteile, die sie mit sich bringt.

Besonders heutzutage, wo man nicht mehr zwangsläufig den Beruf der Eltern ausübt, sondern vermeintlich alle Türen offen stehen, ist der Druck groß, den möglichst besten Status zu erreichen. Der Kapitalismus führt nicht nur zu Krieg, er ist gewissermaßen Krieg. Jeder gegen Jeden.

„Die Menschen drängen sich zum Lichte, nicht um besser zu sehen, sondern um besser zu glänzen.“
– Friedrich Nietzsche

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Unzählige Filme schüren die Ängste zu versagen im Leben und den damit verbundenen Druck. Sie erzählen von Bürgerlichen, die alleine durch Charme und Oberflächlichkeiten „plötzlich Prinzessin“ an der Seite eines reichen Partners werden oder portraitieren das amerikanische Märchen des Tellerwäschers, der zum Millionär aufsteigt. Sie berichten aber nicht vom steinigen Weg dorthin und den Leichen auf dem Weg. So sagen Kritiker es gibt unzählige Gründe die gegen eine Karriere sprechen.

„Zum Vorwärtskommen gehört Unangenehmes: Wenn du höher hinaus willst als die große Menge, so mache dich zum Leiden bereit.“
– Carl Hilty

Man muss, um richtig durchzustarten, etwas sehr Wertvolles investieren: Zeit. Viele Menschen haben das Ziel vor Augen, erst einmal karrieremäßig durchzustarten und dann später, wenn alles in trockenen Tüchern ist, das Leben zu genießen. Aber wer garantiert wie viel Zeit man im Leben noch hat? Viele kommen doch faktisch aus ihrem Trott Lebenszeit nicht hinaus. Sie arbeiten bis sie 60 sind und stürzen dann nach der Pension in eine Depression ab, da sie sich nicht mehr sinnvoll und gebraucht fühlen. „Endlich das Leben genießen!“ – eine Farce!

Und wie viele Ehen scheitern daran, dass einer der Partner nicht mehr genug Zeit hat beziehungsweise -sich nimmt- für das Familienleben? Was wird wohl der Grund sein, warum spezielle Partnerbörsen für Karrieremenschen und “Singles mit Niveau” immer mehr Zuwachs bekommen?

Nun ja, was ehrlicherweise auch zu diesem speziellen Problem beiträgt, ist, dass Singles mit hoher Intelligenz und erfolgreichen Karrieren wählerischer sind. Dass trifft besonders für erfolgreiche Frauen zu. Sie fühlen sich zu ebenbürtigen Partnern hingezogen. Je höher man empor steigt, desto dünner wird die Luft am Partnerhimmel.
Ist die Frau dahingehend flexibel, scheitern unzählige Beziehungen an Egoproblemen, da Männer in vielen Fällen noch zu sehr an klassischen Rollenbildern hängen. Seit Frau nicht mehr nur das nickende und schmückende Anhängsel des Mannes ist, fällt einer der wichtigsten männlichen Stützpfeiler weg – die Abhängigkeit der Partnerin. Sie fühlen sich von starken Frauen angezogen, merken aber schnell, dass sie sich in deren Gegenwart nicht “männlich genug” fühlen, entmannt gar. Probleme vorprogramiert. Konnte ich selbst auch ausreichend erleben. Die Folge: die Frau wird bei der Partnerwahl NOCH wählerischer. Es erfordert beim Mann heute eben mehr innere Qualitäten, um sich einen Platz an der Seite einer neuen, starken Frau zu erobern und vor allem halten zu können.

Ein weiteres Problem der ernstaften Partnersuche könnte es sein, dass eine Person mit Status schwer unterscheiden kann, wer es wirklich ernst mit ihnen meint, oder nur die Vorzüge der fremden Lorbeeren genießen will.

“Karriere ist etwas Herrliches, aber man kann sich nicht in einer kalten Nacht an ihr wärmen.”
– Marilyn Monroe

Wer diese Art des Erfolgs will, muss sich zwangsläufig durchsetzen. Man braucht Ellenbogen. Da wird die eigene berufliche Entwicklung schon mal schnell dem guten Miteinander übergeordnet. Leider. Die Arbeit verändert somit auch die betreffende Person an sich, denn Fakt ist: die Menschen, mit denen man den Großteil der Zeit verbringt (eben die Kollegen), beeinflussen einen. Ja, ob man will oder nicht. Und auch die unliebsamen Verpflichtungen wie Konkurrenz ausstechen, Angestellte kündigen, Gelder einstreichen, etc., verändern den Charakter nachhaltig.

„Wer heutzutage Karriere machen will, muß schon ein bißchen Menschenfresser sein.“
– Salvador Dalí

Alles in allem sind Karrieren einfach anstrengend. Sie gehen nicht selten auf Kosten der Gesundheit und des Soziallebens. Man verliert vielleicht den Blick für die wirklichen Leidenschaften, für das, was man wirklich von Herzen gerne machen will.

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Ihr müsst auch nicht bereits euer ganzes Leben verplant haben. Ach, ich bin auch noch lange nicht am Ende meines Weges angekommen! Nun habe ich bereits eine Lehre beendet, mich in dem Beruf nicht wohl gefühlt, direkt ein Fachabitur Sozialwesen angeschlossen, ein Diplom in Sozialer Arbeit vorzuweisen und mein erstes Buch heraus gebracht. Man könnte sagen ich bin großen Schrittes auf dem Weg einer Expertenlaufbahn. Und ja, ich überlege nun auch noch zu promovieren. (Elitepartner ich komme!!) Lebe ich nun auch eine dieser ätzenden Karrieren?

Nein, natürlich nicht.

Für eine klassische Karriere macht man in der Regel eine kalte, kalkulierende Arbeit, die einen nicht wirklich erfüllt. Daher kommen auch dieser hoffnungsvolle Gedanke: “Wenn ich erst mal die nächste Stufe erreicht habe, dann…“. Dort angekommen wird wahrscheinlich wieder etwas stören, weil einfach die Tätigkeit an sich nicht erfüllt. Ein Teufelskreis.

Den bereits erlernten Beruf als Mediengestalterin habe ich nicht ausgeübt, da er mich eben nicht erfüllt hätte. Fakt ist doch: Wir werden älter, erfahren wärend einer Ausbildung Berufsalltag von ninetofive, durchleben unterschiedliche Lebensphasen und auch private Krisen. Wir verändern uns, persönliche Prioritäten und Wertmaßstäbe verschieben sich und damit auch die Ansprüche und Wünsche  an einen Beruf. Wir lernen, dass das „wahre Leben“ meist erst 17.05 Uhr beginnt. Doch soll es das gewesen sein?

Ideal wäre es doch, das persönliche Lebensgefühl möglichst auf den ganzen Tag auszudehnen. Ich erkannte, dass im Zuge der notwendigen Neuorientierung der Abschluss in einem Studienfach, das meinen privaten Vorlieben entspricht, die ideale Grundlage für spätere Einkünfte einer erfüllenden Tätigkeit sein kann. Doch zum Ende des Studiums entdeckte ich, dass ich die angestrebte Streetwork mit Obdachlosen problemlos auch ohne Festanstellung, einfach privat auf Freiwilligenbasis machen kann. Mit Wehmut realisierte ich, dass ich mit Broten verteilen alleine nicht die Umstände verändern kann und mich beruflich eventuell lieber meiner Leidenschaft – dem Schreiben und Unterrichten – hingeben sollte, dem Publik Machen von Missständen.

Es geht also auch anders. Ich habe mir meinen Traumberuf selbst geschaffen. Ich bin Buchautorin und Bloggerin und hab am 14. Januar mit den ersten Buchlesungen begonnen. Noch dieses Jahr soll die Doktorarbeit angegriffen werden. Natürlich habe ich auch regelmäßig anstrengende Arbeiten zu verrichten, habe auch mal Rückschläge zu verbuchen und ärger mich. Doch ich weiß wofür ich es mache, weil es mich glücklich macht und so kann es kaum erwarten los zu schreiben, das nächste Projekt anzugreifen!

Ob ich dann wirklich als Professorin arbeiten werde, oder es mich in ein Haus mit einem Hof voll streunender Hunde in Bali verschlägt– ich weiß es nicht und das ist auch gut so! Nicht alle Antworten parat zu haben, erfüllt mich nicht mehr derart mit Angst wie einst. Ich halte mir die Zukunft offen, ganz nach Napoleon Bonapartes:
„Wer von Anfang an genau weiß, wohin sein Weg führt, wird es nie weit bringen.“

Auch Into the Wild liefert keine patentierten Antworten für unser modernes Leben. Doch der Aussteiger, der ebenfalls lieber seiner inneren Stimme statt den Vorstellungen seiner Eltern folgt, begegnet durch seinen Mut Wertvollerem als Geld und Macht, nämlich Menschen und allerlei Tieren, Angst, Wut, Trauer und dem Tod. Er begegnet auch Hoffnung, der Liebe und auch Freude und dem Glück. Und er erfährt Weisheit mit jedem Schritt seiner Reise.

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Wie ihr es euch also vermutlich schon dezent denken konntet, kann ich diesen Film wirklich guten Herzens empfehlen. Er ist gefüllt mit wunderschönen Naturbildern, großartiger Musik von Eddie Vedder und (wenn man von den unnötigen religiösen Bezügen mal absieht,) positiven Anstößen für das eigene Leben: „Du kannst alles schaffen, du kannst überall hingehen. Geld, Macht, das sind Illusionen, das ist alles hier oben. Du kannst hier sein. Ich und du.“

Also macht euch ebenso auf, unabhängig was euch eure Familie und vermeintlichen Freunde für Karrierevorstellungen und Nestbaudruck auferlegen! Sammelt eure Erfahrungen, reist und erkundet, lebt und liebt! Es wird euch Weisheit bringen, unersetzbare kostbare Erfahrungen und Offenheit für andere Lebensweisen. Findet eure Bestimmung und gebt euch nicht mit einem unglücklichen Leben in Mittelmäßigkeit zufrieden, nur wegen finanzieller und struktureller Sicherheit.
Ihr könntet zum Beispiel den Urlaub opfern, um ein Praktikum im vermeintlichen Wunschberuf zu machen. Warum nicht lowbudged in ein euer Traumland reisen und vor Ort gucken, was euch glücklich machen würde oder die freie Zeit nutzen, euch zu informieren über Selbstständigkeit, Studium, Weiterbildung, Umschulung. Statt sich in einer sicheren Komfortzone auszuruhen, mal unkonventionelle Entscheidungen treffen und mit Verve umsetzen. Die Welt steht euch offen. Naja, WENN ihr euch traut!

Doch genug der Ansagen!

Zum Abschluss möchte ich euch noch einen letzten Gedankenanstoß mitgeben, den Chris im Film als ein weiteres Erkenntnis seiner Reise, zum Ende seines jungen Lebens, gewann:

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rootsDie letzten Worte
Christopher Mccandless
in seinem Tagebuch:

“I have had a happy life and thank the Lord. Goodbye and may God Bless all.”

 

 

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5 Kommentare auf "Höher, weiter: Karriere"

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