Allgemein, Für den Kopf

Entscheidungen fürs Leben – Soll ich?! Soll ich nicht?!

„Wer sich nie für etwas richtig entscheidet, lässt sich treiben. Er erlaubt anderen, die Geschichte seines Lebens zu schreiben.“

– Ruth Chang

Noch nie konnten wir so viel entscheiden wie heute. Die vielen Möglichkeiten machen uns das Leben schwer. Psychologen sprechen von einer Tyrannei der Wahl. Manche Entscheidungen fallen dann auch noch besonders schwer – für jede Alternative gibt es gute Argumente. Somit verbinden wir die Entscheidungsfindung oft mit Quälerei. Ruth Chang, die Professorin der Philosophie an der Rutgers-Universität, fand dafür eine einleuchtende Erklärung. Sie erläuterte im Interview mit dem Philosophie heute Magazin (compact), dass die Art und Weise, in denen Alternativen miteinander in Beziehung stehen, ausschlaggebend für den Schwierigkeitsgrad sind.

Bei einfachen Entscheidungen ist eine Alternative besser als eine andere. Die richtige Wahl treffen ist so leichter möglich, besonders wenn eine Option klar besser erscheint als der Rest. Aber so unkompliziert ist es nicht immer. Bei einer schwierigen Wahl haben beide Alternativen ihre Vorteile. Es gibt also gute Gründe für beide Seiten. Keine Lösung ist der anderen überlegen.
Jeder von uns kommt im Leben einmal oder auch mehrmals an einen Punkt solch eine besonders schwierige Entscheidung treffen zu müssen. So quälte auch ich mich monatelang mit der Frage, ob ich in meiner Stadt bleiben, mich für einen komplett neuen Wohnort entscheiden, oder zunächst nur den Stadtteil wechseln sollte.

Ich ließ mich zwischendurch ebenfalls einfach treiben, denn zeitweise fühlt man sich auch gesundheitsbedingt weniger entscheidungsfreudig. Im Moment zermürbt mich die anhaltende depressive Phase regelrecht. Es ist die Summe aus Einschlaf- und Durchschlafproblemen, ständiger Erschöpfung, kräftezehrenden Panikattacken, die mir als Konsequenz das Selbstbewusstsein und die Willenskraft für Entscheidungen rauben. Ich leide aktuell verstärkt an Merk- und Konzentrationsstörungen, an Vergesslichkeit und eben an mangelnder Entscheidungsfähigkeit und Wankelmütigkeit. In solchen Phasen scheint mir das Leben ein endloses Herumirren in einem Wald von Möglichkeiten zu sein.

Obendrauf leben wir auch noch in der Generation der Ungebundenen – ganz besonders spürbar in Berlin. Hier sind die Optionen fast grenzenlos. Mit der Freiheit moderner Lebensentscheidungen wächst aber zeitgleich auch die individuelle Verantwortung. Als Konsequenz lebt heutige Jugend mit der ständigen Angst, einen Fehler zu begehen. Legen sie sich fest, schließen sie damit eventuell die Tür zu einer besseren Wahlmöglichkeit, die schon hinter der nächsten Ecke warten könnte.
So war es vor allem der technische Fortschritt und die globale Wirtschaft, die eine wahre Explosion von Möglichkeiten mit sich brachte, eine totale Multioptionsgesellschaft. Sie formte den Zeitgeist des „Ich wart lieber auf eine vorteilhaftere Option.“ – Eine Option, die womöglich gar nicht existiert.

Somit treiben sie dorthin, wo der Wind sie trägt, ohne dauerhafte Bindungen an irgendetwas oder irgendwen, ohne die Konfrontation schwieriger Entscheidungen. Wie im Eingangszitat so treffend formuliert, erlauben diese Drifter der Welt, die Geschichte ihres Lebens zu schreiben, statt sie selbst in die Hand zu nehmen. Dabei zeigt die moderne Psychologie, dass Entscheidungen die Persönlichkeit eines Menschen erst richtig formen. Sie lassen uns zu eigenständigen, selbstbestimmten, individuellen Personen werden, uns wachsen an den Aufgaben, die wir meistern.

Doch in einem Punkt haben die Zögerer ja recht: Wenn man einen Weg wählt, kann man den anderen nicht gehen. Und außerdem sind da noch die Zweifel: Was wäre, wenn ich mich anders entschieden hätte? Ich kann euch aus eigener Lebenserfahrung sagen: auch Fehlentscheidungen bergen wertvolle Lerneffekte. Und Fakt ist doch: Fehler zu machen bringt uns mit Sicherheit weiter, als ein Leben lang abzuwarten.

Niemandem gehen alle Entscheidungen leicht von der Hand, obwohl manch einer beeindruckend souverän wirken mag. Wie viel Fassade hinter der jeweiligen Selbstsicherheit tatsächlich steckt, wird man wohl nie erfahren. Da ich aber mit Sicherheit nicht zu den ewig Treibenden gehören möchte, die zu ängstlich und/oder gemütlich sind, sich für etwas einsetzen, für etwas einzustehen, traf ich nun eine folgenschwere Entscheidung – ich werde Berlin verlassen, womöglich für immer.

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Diesen Beschluss habe ich nun unwiderruflich gefasst und er sollte gebührend gefeiert werden, als Abschiedsparty von meinen liebsten Berlinern. Diese besonderen Menschen lud ich zu einem Grillabend in einen wunderschönen Garten inmitten von Berlin Friedrichshain ein – eine Oase inmitten des Großstadtchaos. Und die Herzmenschen kamen zahlreich. So viel Tragik wie in Abschieden steckt, mindestens so viel Liebe und Herzlichkeit beinhalten sie auch. Es war ein durchgehend schöner Abend mit veganen Köstlichkeiten vom Grill.

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Jeder beteiligte sich indem er oder sie etwas mitbrachte, ganz dem amerikanischen Konzept des Potlucks entsprechend. Der sogenannte Potluck ist vor allem in den Vereinigten Staaten verbreitete Zusammenkunft, bei der jeder Teilnehmer eine Speise mitbringt, die für mehrere der anderen reicht und dann mit allen geteilt wird.

Falscher Hase

Es war das erste Mal, dass ich Freunde aus verschiedensten Kreisen, in unterschiedlichsten Altersgruppen, Einstellungen, Ernährungsweisen und Subkulturen, zusammenbrachte. Ich hatte sie in verschiedenen Abschnitten und Bereichen meines Lebens kennengelernt. Darunter befanden sich neue Freunde der letzten 4 Jahre in Berlin, Menschen mit denen ich schon 10Jahre alte Freundschaften aus der Hardcore-Subkultur teile, die Berlinerin, die mich damals unbekannterweise völlig uneigennützig aufnahm, als ich durch meinen Exfreund in Spanien strandete,  Modeszenefreunde, Skater, meine engste Freundin aus der Bloggerszene und einige andere. Ein komisches Gefühl diese Menschen so auf einem Haufen zu sehen. Doch sie verstanden sich prächtig, kein Wunder, sind sie doch alle entspannte und herzensgute Gesellen.

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Nun ist also der Abschied von meiner geliebten Wahlheimat gekommen, der Tag nun auch mutig zu meiner getroffenen Entscheidung zu stehen. Denn zu einer guten, sinnvollen Entscheidung gehört auch das mutige Durchziehen der getroffenen Wahl.

Aber wie trifft man die eigene Wahl am besten? Das Geheimnis guten Entscheidens besteht wohl am Ende darin, beides – Gefühl und Verstand – mitreden zu lassen. Die Experimente des Psychologen und Leiters des Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Gerd Gigerenzer zeigen, dass es oft besser ist, auf das eigene Bauchgefühl zu hören, als lange zu grübeln, denn die perfekte Lösung gibt es meist gar nicht. Und wir haben ja bereits gelernt: Wirklich frei ist nur, wer auch mal schwere Entscheidungen trifft, die ihm niemand abnehmen kann. Traut euch was! Seid mutig! Meine nun endlich getroffene Wahl fühlt sich bisher großartig an.

Allerdings muss ich auch zugeben, dass ich eine winzig kleine Fußnote unter meine Entscheidung setzte. Nämlich die, regelmäßig Berlin zu besuchen. Entscheidungen sind ja schön und gut, wichtig für unsere Entwicklung, das wissen wir mittlerweile. Aber meine Freunde mag ich nicht gänzlich missen müssen und ehrlich gesagt auch nicht mein Berlin.

Berlin, mein Herz, ich werde wieder kommen!
Hallo Dresden, meine neue Liebe…

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(vgl. Ruth Chang, Philosophie heute Magazin (compact))

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