Allgemein, Für den Kopf

The cold swedish winter – the final chapter (4)

„Maybe…you’ll fall in love with me all over again.”
“Hell,” I said, “I love you enough now. What do you want to do? Ruin me?”
“Yes. I want to ruin you.”
“Good,” I said. “That’s what I want too.“

– Ernest Hemingway, A Farewell to Arms

 

Aufschrecken. Atemnot.

Ich drehe mich um und suche ihn, zunächst mit meinen Händen. Als diese ins Leere greifen, öffne ich die Augen. Sie suchen ihn mit aufsteigender Verzweiflung. Doch auch sie können an der traurigen Realität nichts ändern – er ist weg. Sofort sticht mein Brustkorb. Es trifft mich wie ein Schlag – “Er wird nie wieder neben mir liegen”. Ich muss nun alleine mit meinen Ängsten in der Nacht klar kommen; muss mit allem alleine klar kommen.

Was es genau ist, dass mich nachts derart hochschrecken lässt, ist selten greifbar. Aber es sind auch weniger die konkreten Inhalte der Träume, als die massiven Gefühle die auf mich einstürzen – Angst, Bedrückung, pure Verzweiflung. Bereits als Kind träumte ich oft ins Bodenlose zu fallen. Seit einiger Zeit kam dieser nächtliche Schauder sehr häufig über mich. Und immer klammerte ich mich schutzsuchend an ihn. Er wurde eigentlich immer wach, legte seine warme Hand auf mein Gesicht, weil er wusste das beruhigt mich und gab mir einen Kuss auf die Stirn. War es besonders schlimm, umklammerte er mich und hielt mich fest oder richtete mich auf und atmete mit mir. Ich fühlte mich sicher.

Nun war er nicht mehr Teil meines Lebens, nicht mehr da in der Nacht. So liege ich hier. Alleine. Und es wird mir schmerzlich bewusst, dass sich alles geändert hat. Ich werde überrollt von einer Welle überwältigender Gefühle. Die Tränen kommen zwangsläufig. Ich richte mich auf und fass mir an die Brust; sie sticht so sehr, es ist kaum zu ertragen. Jedes Mal wenn ich einatme wird der Schmerz größer. Irgendwann ist es nur noch ein ohnmächtiges in mich hinein Schluchzen, dieses kraftlose, depressive Weinen, das nun Gefühle wie Wut, Verzweiflung und Zorn ersetzt.

“It’s the first defeat – it cuts you to your bones, knocks you off your feet
And you discover that home is not a person or a place, but a feeling you can’t get back”

– Noah Gundersen, First Defeat

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Der Verlust eines geliebten Menschen, sei es durch Tot oder Trennung, gehört zu den schmerzlichsten Erfahrungen die man erleiden kann. In beiden Fällen ist die Person nicht mehr in unserem Leben. Es ist also ganz natürlich, nach einer Trennung zu trauern. Tagsüber ist bei mir kaum etwas von der emotionalen Trauer zu spüren. Stattdessen hab ich vermehrt ein Gefühl der Leere und Gefühllosigkeit. Weitere Erscheinungen dieser Zeit sind Schlafprobleme, einen generellen Interesseverlust, Konzentrationsschwäche und endlosen Grübeleien. Eine unerträgliche innere Unruhe plagt mich.

Allerdings blieb mir kaum mehr eine andere Möglichkeit als die ihn zu verlassen. „Es ist schwer, sich gegen eine solche Gewalt zu wehren, die weder greifbar noch beweisbar ist und die doch so tief verletzte. Seelische Gewalt erniedrigt, nimmt die Selbstachtung, macht hilflos.“ Ich tat alles, was in meinen Kräften lag, um ihn zufrieden zu stellen, aber je mehr ich gab, desto mehr er quälte er mich. Ich fühle mich hilflos, fühlte mich, als hätte ich wirklich alles für ihn und uns aufgeopfert, was ich offerieren konnte, bis es mich komplett zermürbte und ich schlussendlich daran zerbrach.

Aber wenn der Erkrankte auch nichts gegen die bipolare Störung zu unternehmen vermag und man als die Partnerin dauerhaft alles nur Denkbare auszuhalten versucht, wird die Situation letztlich zwnagsläufig unerträglich. Kranke leiden manchmal nicht nur durch ihre Erkrankung, oft nutzen sie sie auch und setzen sie zu ihrem Vorteil ein. Sie erkennen sehr schnell ihre Macht, wenn die Krankheit stets und ständig als Entschuldigung akzeptiert wird.
Ob er es bewusst ausnutzte ist schwer nachzuvollziehen. Aber ich spürte, dass so viel Bosheit nur von vielem Leid herrühren kann. Zudem berichtete er auch immer wieder in kleinen Dosen von den vielen leidvollen Erfahrungen seines Lebens. Dadurch erregte er selbstverständlich mein Mitleid und genau durch dieses kann man einen Menschen leicht manipulieren.

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Eine dazu passende Theorie, die der perversen seelischen Gewalt, besagt, dass es ein Prozess unbewusster psychologischer Zerstörungswut ist, der manche Menschen antreibt einen anderen zu verletzen oder gar seelisch zugrunde zu richten. Jeder von uns mag ab und zu kleine “perverse” Handlungsweisen an den Tag legen, so beispielsweise in einem Anfall von Zorn. Doch fragen wir uns zumeist kurz nach diesem Kontrollverlust ganz erschrocken, was wir da eben angerichtet haben. Ein perverses Individuum ist beständig in diesem Verhalten und stellt sich in keinem Augenblick in Frage.

Sie setzen auf Charme und gebrauchen ihre Anpassungsfähigkeit um sich einen Weg durch die Gesellschaft zu bahnen. Um die Menschen des Umfeldes auch ja nicht gegen sich aufzubringen, wird darauf zurückgegriffen, immer wieder kleine unscheinbare Bosheiten zu platzieren. Diese sind subtil und dadurch schwer greifbar. Versteckte Anspielungen, böswillige Andeutungen, Lügen, Isolation und Demütigungen finden Anwendung.

Das Resultat – der jeweilige Täter wertet sich auf, in dem er andere herabwürdigt. Diese Vermutung bekam ich zum Ende hin vermehrt auch bei meinem Partner und ebenfalls den Verdacht, dass er sich dadurch machtvoll fühlte, dass ich immer wieder zu ihm zurück kam, egal welche schlimmen Verletzungen er mir zufügte. Das würde auch erklären, warum er bei einem zeitweise sehr geringen Selbstwert und zunehmender Unsicherheit vermehrt anfing, mich wegzustoßen und um mich nur kurze Zeit später wieder um den Finger zu wickeln. Ich fühlte mich gedemütigt.
Womöglich zählt er zu den Menschen, die Stabilität und Vorhersehbarkeit mit Langeweile verwechseln. War ich allzu fügsam, war das Spiel nicht spannend, der Reiz die Beziehung fortzusetzen verschwunden. Er verlor das Interesse, wirkte dann schnell zutiefst gelangweilt und man spürte die drohende Gefahr, die in der Luft lag. Ich wurde duch die Unbeständigkeit in einem permanenten Zustand der Anspannung gehalten.

Sein Verhalten und deren Konsequenzen war ihm wohl nicht wirklich bewusst. Ich vermute, dass er sich allgemein äußerst schlecht reflektieren kann. Gerade die manisch-depressive Erkrankung führt ja dazu, dass die Selbstwahrnehmung extrem verzerrt ist und auch perverse Täter handeln unbewusst. Ich glaube, daß die meisten dieser Täter in einer ganz eigenen Wahrnehmung leben, in der es für sie selbst überlebenswichtig ist, ihre Opfer auszusaugen, bzw. sie als schlimme Menschen darzustellen um sich ihre eigene Begrenztheit und Unzulänglichkeit nicht eingestehen zu müssen. Sie würden die Wahrheit nicht ertragen. In wirklichkeit sind die Täter meist die psychisch schwächeren Personen. Perversionen werden in der Wissenschaft mit Sicherheit zurecht als defensive Verhaltensweise betrachtet, zur inneren Abwehr einer Psychose oder einer Depression, doch entschuldigt das ihr Verhalten auch nicht! Rückwirkend ist es schwer zu sagen, wann sein Handeln krankheitsbedingt und wann aus solch einem oben beschriebenen perversen Drang motiviert war. Man kann nur mutmaßen und zum eigenen Seelenwohl irgendwann verzeihen, mit dem Bewusstsein, dass die Täter einen inneren Grund für ihr Handeln haben und womöglich keine Alternative sehen.

“Before we can forgive one another, we have to understand one another.”
― Emma Goldman

Und so wunderte ich mich beim Lesen des Buches zum Zweck des Verstehens, wie erschreckend gut die Theorie auf die eigenen Beziehungsmuster passte. Täter dieser Methodik ersparen sich innere Konflikte oder Gemütsbewegungen, in dem sie dem Partner jede Verantwortung für Probleme zuschieben. Keine Schuld = kein inneres Leid. Denkt man nun an dieser Stelle zurück an die Momente der Europatour, auf denen er mich täglich Isolation und seelischer Qual aussetzte, um dann schlussendlich zu sagen: „Du bist schuld, mit dir kann man halt nicht reden! DU bist ein schrecklicher Mensch.“, sieht man solche Aussagen doch nochmal in einem ganz anderen Licht.
Ich, dieser Situation ausgesetzt, war starr vor Erstaunen, nicht fähig zu handeln – ganz untypisch für mich, denn ich bin und war immer schon eine Kämpfernatur, vor allem wenn es um Ungerechtigkeiten geht. Doch in der gesamten Beziehung wurden Diskussionen oder jeglicher Widerstand immer sofort im Keim erstickt. Als Opfer dieser Szenerie wurde ich dadurch meiner Selbstbestimmung, meiner Freiheit beraubt, denn ich konnte mich nicht mehr verteidigen, irgendwann nicht einmal mehr ausreichend kritisch urteilen und mich erst gar nicht auflehnen.

Die Autorin von Die Masken der Niedertracht, Marie-France Hirigoyen, führt aus: „Selbst wenn seine Perversität eine gewisse Zeit unbemerkt bleibt, wird sie immer dann zutage treten, wo es Stellung zu beziehen gilt; denn es ist ihm unmöglich, sich in Frage zu stellen. Diese Personen können nicht anders leben, sie müssen den anderen „zerstören“. Sie müssen ihn herabwürdigen, um Achtung vor sich selbst zu gewinnen und dadurch Macht; denn sie gieren nach Bewunderung und Anerkennung. Sie empfinden weder Mitgefühl noch Anerkennung für den Anderen, da Beziehungen sie ja nicht berühren. Den anderen respektieren bedeutet, ihn als menschliches Wesen zu betrachten und den Schmerz zu erkennen, den man ihm zufügt.“ Und wie oft habe ich mich damals gefragt, wie man einen angeblich geliebten Menschen nur so derart herzlos behandeln kann. Ich verstand es nicht.

In der Gesellschaft herrscht eine regelrechte Bewunderung für diese Menschen, denn sie genießen das Leben in vollen Zügen, strahlen Überlegenheit aus und schaffen es dabei selbst so wenig wie möglich zu leiden. Sie kennen halt auch keine Skrupel moralischer Art. Von den Opfern hört man hingegen kaum. Allgemein stehen bei den meisten psychischen Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen die Betroffenen so sehr im Fokus, dass die Personen des Umfelds gerne mal ausgeblendet werden. Die vielen Gefühle, der Frust, die Ohnmacht – man muss es zumeist alleine managen. (Es gibt Selbsthilfegruppen und andere Hilfen! Nehmt sie in Anspruch!)

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Ich begann zu der Zeit der sich häufenden Trennungen mehr und mehr zu lesen. Informationen brachten Erkenntnisse und Licht in die Dunkelheit meiner Verblendung. Das bereits erwähnte Buch Die Masken der Niedertracht, öffnete mir nochmal besonders die Augen in vielerlei Hinsicht menschliche Interaktionen betreffend, aber auch besonders in Bezug auf die Beziehung. Ich bin oft vorsichtig Menschen zu analysieren, sie damit vorschnell zu verurteilen oder Andere (und auch mich) gar komplett in vorgefertigte Schubladen zu stecken. Ich beobachte gerne und mutmaße, das auf jeden Fall. Aber ohne eine professionelle Meinung zurate zu ziehen, mag ich keine abschließende Analyse aussprechen. Das in diesem Buch über seelische Gewalt beschriebene Verhalten ist aber nunmal bezeichnend passend auf meine Erlebnisse seines Verhaltens.

Der dort aufgezeigte Ablauf beinhaltet zunächst zu verführen – das Opfer auf unwiderstehliche Weise anlocken, dann zu beeinflussen, der eigenen Macht zu unterwerfen und dem Opfer dadurch schlussendlich jegliche Freiheit zu nehmen. In der letzten Phase wird es seelisch zerstört. Die Täter, so die Autorin, gieren danach, mehr Emotionen, mehr Leben zu empfinden.

“You don’t have to destroy me. Do you? …”
― Ernest Hemingway, The Complete Short Stories

Wie kann man sich das aber vorstellen?

Sie charakterisiert Methoden wie das Verweigern von unmittelbarer Kommunikation und auch das Entstellen der Sprache – der Einsatz von einer kalten Stimme, farblos, ausdruckslos, eintönig. „Eine Stimme in der keinerlei Gefühl mitschwingt, die gefrieren lässt, ängstigt und selbst in ihre unbedeutendsten Reden Geringschätzung oder Spott einfließen lässt. Allein schon die Klangfarbe impliziert, selbst für den neutralen Beobachter, Hintergedanken, unausgesprochene Vorwürfe, verschleierte Drohungen.“ Ich bekomme nun Gänsehaut beim Lesen, denn ich kenne diese kalte Klangfarbe nur allzu gut.

Auch Lügen thematisierte sie. Zumeist seien keine direkten Lügen, sondern Verknüpfungen von verschiedenen Methoden, um Missverständnisse zu schaffen, die er dann zu seinem Vorteil auszunutzen gedenkt. Immer ist man selbst, als das Opfer, diejenige, die wiedermal alles falsch versteht, völlig ungerechtfertigt „viel zu empfindlich reagiert“ auf wage aber indirekt provozierende Aussprüche des Aggressors. Ein anderer Typus der indirekten Lüge besteht darin, verschwommen oder ausweichend zu antworten, oder ein Ablenkungsmanöver zu starten. Die Autorin erklärt dazu, dass egal was man auch zu sagen vermag, der perverse Manipulator findet immer einen Weg recht zu haben.

Destabilisiert werden kann man auch durch Paradoxe. Dabei wird Etwas gesagt auf verbaler Ebene, aber das Gegenteil wird auf nonverbaler Ebene ausgedrückt. Auch das gehörte zu meinem Alltag. Der Partner wird am Ende wankend gemacht, weiß nicht mehr wer recht und wer unrecht hat, was wahr und was falsch ist. Das Bewusstsein der eigenen Identität geht verloren. Ich verblieb im ständigen Zweifel, was er wirklich sagen wollte, ob ich falsch interpretiere. Er erhob niemals seine Stimme, legte nur kalte Feindseligkeit an den Tag, die er darauf angesprochen, vehement abstritt. Stetig war ich am Grübeln und fühlte mich nur noch unsicher. Dinge wegen denen ich andere Exfreunde vorher mit aller Konsequenz verlassen hatte, waren nun an der Tagesordnung und meine Werte und Überzeugungen fanden sich in meinem Kopf vollends nach hinten gedrängt.

Auch geschürte Eifersucht kann als Druckmittel eingesetzt werden. In unserem Fall versprach er einmal, als er bei einem Skateausflug 2 Schlafplätze zur Verfügung hatte, nicht bei seiner Ex-Affäre zu nächtigen, sondern bei der 2. Option – einem genauso engem Freund. Wir trafen eine Abmachung darüber. Selbstredend endete er bei ihr und schrieb mir nachts von dort aus: „Hätt ich gewusst, dass es dich stören würde, hätt ich natürlich nicht hier geschlafen.“ Ich war unendlich wütend und enttäuscht, überlegte aber auch, ob ich mich nicht ausreichend eindeutig ausgedrückt hatte. Meine Gedanken kreisten um das Gesagte. Gleichzeitig plagte mich die Angst ihn an sie zu verlieren. Niemals während der Beziehung hatte ich das Gefühl ihn sicher zu haben. Es herrschten Angst und Unsicherheit. Eifersucht brodelte so schon fast selbstverständlich hoch in dieser angespannten Situation. Und das ist nur ein Beispiel vieler Geschehnisse.

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Ich las nun im Laufe meiner Recherchen auch ein Buch, dass Tipps gibt für den Umgang mit einem bipolaren Partner (aus Sicht des Erkrankten geschrieben):

– Lass nicht zu, dass ich während einer Episode weitreichende Entscheidungen treffe.
– Mich weniger tun lassen – Liege mir nicht ständig in den Ohren mit Dingen, die ich machen soll.
– Entwickle einen Ersatzplan, sodass wir nicht unter den Folgen meiner Untauglichkeit und meiner Vergesslichkeit leiden müssen.
– Biete Hilfestellungen an statt Ratschlägen. Sprich weniger, höre mehr zu.
– Mich so, wie ich bin, wertschätzen.
– Ermahnungen unterlassen – Belehre oder kritisiere mich nicht ständig. Ich fühle mich eh schon so, als würde ich für alles beurteilt, was ich tue oder lasse.

u.v.m.

Und ich fragte mich nun beim Lesen und auch rückblickend auf mein damaliges Leben zwangsläufig: Wofür hält man uns Angehörige eigentlich? Für Heilige, die trotz wiederholten Verletzungen und Zurückweisungen unermüdlich einfühlsam auf den Kranken eingehen? Sollen wir immer gelassene Heiterkeit und Zuversicht ausstrahlen, stets vernünftig und besonnen sein und nach einer überstandenen Phase dort wieder am Beziehungsleben anknüpfen, wo man zuvor aufgehört hat – In dem Wissen, dass bald alles wieder von vorne beginnt? Was verlangt man da alles von uns?

You are so brave and quiet I forget you are suffering.
― Ernest Hemingway

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Dieses eben zitierte Buch Der bipolare Spagat ist nichtsdestotrotz ein hilfreicher Ratgeber für Freunde und Angehörige. Es ist angenehm illustriert, hilft verstehen und gibt aktive Tipps für den Umgang, für Selbstschutz und auch dafür eigene Grenzen zu erkennen.
Tatsächlich sehe ich mich selbst als sehr starke Persönlichkeit, einfühlsam und verständnisvoll im besonderen Maß. Ich habe schließlich ein Diplom in Sozialer Arbeit, helfe zeitlebens wo ich kann. Aber ich fand damals (ohne professionelle Hilfe, Ratgeber und ausreichende Informationen) keinen Weg die Belastung zu ertragen und das Zusammenleben zu managen. Womöglich lag es aber auch daran, dass ich nicht mehr ich selbst war. Ich war nicht in der Lage, die Aussichtslosigkeit meines Verhaltens zu bewerten und mich entsprechend zu verhalten. Ich hatte ja selbst irgendwann keine Kraft mehr. So befand ich mich bereits in einem Stadium des Verlusts der Selbstachtung; hatte einen verminderten Selbstwert, stetiges Gefühl der Unzulänglichkeit mit den dazugehörigen Depressionen. Das ging so weit, dass ich mich selbst nicht mehr fühlen und wahrnehmen konnte. Für außenstehende Beobachter waren die Vorkommnisse kaum sichtbar. Sie gingen nach augenscheinlicher oberflächlicher Betrachtung davon aus, wir seien – Zitat – „das absolute Traumpaar“. Waren wir unter anderen Menschen zeigte er sich auch stets fröhlich und aufgedreht – der charmante Entertainer.

Nachdem ich nun nach dem schrecklichen Weihnachten (im Teil 3 beschrieben) bereits einmal getrennt war von ihm, damit auch eine klassische Trennungsphase durchlebt hatte, sah ich die Rückkehr in die Strukturen jetzt doch etwas differenzierter. Ich war nicht mehr so blind und gelähmt wie zuvor. Ich wurde wütend über meine nicht enden wollende Hilfslosigkeit dieser ganzen Situation. Und Zorn ist ein Signal dafür, dass wir uns durch den betroffenen Partner zu sehr ausnutzen, aussaugen, kränken lassen.

Es bringt nichts, sich dauerhaft aufzuopfern und dadurch die eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Da meine Gedanken ständig um das Verhalten meines Partners kreisten, bestimmten seine Höhen und Tiefen auch mein Befinden. Permanent versuchte ich zu verstehen und fühlte mich immer verantwortlich: „Was habe ich gemacht, dass er mich so behandelt, mich so verabscheut?“ „Was kann ich machen, dass er mich nicht verlässt?“ „Muss ich weicher, lieber, ruhiger sein?“ Seine psychische Erkrankung, vermutlich in Verbindung mit unbewussten Techniken zur Destabilisierung, schränkten mein eigenes Leben massiv ein und ich wurde (mit-)abhängig von seiner jeweils akuten Phase, von seinen Launen und Spielchen.

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Ich habe nun auch eine einzelne Zuschrift erhalten, die in dieser Art sicherlich viele Opfer von seelischer Gewalt erleben. Es ist der Vorwurf, sich es in einer Opferrolle gefallen zu lassen oder gar selbst Schuld an der Situation zu tragen. Auch manche Psychoanalytiker unterstellen den Partner/n/innen ein masochistisches Wesen. Die Realität dieser Personen zeigt aber Anderes, denn es gibt eindeute Fakten gegen diese Anschuldigung.

Für mich selbst war es ein sehr schwieriger und langwieriger Prozess, mir einzugestehen, daß ich ein Opfer bin. Es ist mit einer gewaltigen Scham verbunden, die ich auch heute noch spüre. Denn es ist alles andere als leicht, vor sich selbst, geschweige denn vor anderen zu bekennen: nicht wirklich geliebt worden zu sein, die Schmach, die Demütigungen geduldet zu haben und auch die, sich gefügt zu haben. Dieser Prozess der Einsicht ist unverzichtbar auf dem Weg zur Heilung für mich und alle Opfer.

Zudem kann jeder schnell in solch eine Situation geraten und merkt leider erst viel zu spät, was mit einem passiert. So glaube ich nicht, daß die Opfer von ihren Angreifern wahllos ausgesucht werden. Viele bringen mit Sicherheit Vorraussetzungen dafür mit. Da lohnt es sich unbedingt, sich auch die Frage zu stellen: Welche Blockaden, welche Ängste, welche Schuld- und Schamgefühle machen micht zu einem geeigneten Opfer? Verbleibt man unreflektiert, kann man sich schnell wieder in einer derartigen Beziehung wiederfinden. Wichtig ist es mir dabei aber ausdrücklich zu betonen, dass es nicht um eine Mitschuld oder Mitverantwortung des Opfers geht, wie in der Zuschrift angemerkt, die mich erreichte. Überhaupt ist es nicht hilfreich, in diesen Beziehungen von Schuld zu sprechen oder in dieser Katergorie zu denken.

Was hätte ich aber besser machen können? Sicherlich hätte ich bestimmender sein können, ihn mehr antreiben können, mir weniger gefallen lassen sollen. Ich habe viel zu oft viel zu große Nachsicht walten lassen, habe nicht für meine Bedürfnisse eingestanden. Ich hätte Konflikten vorbeugen können, indem ich auf eine eigene Wohnung für ihn bestanden hätte oder auf einen Job. Durch meine Hochsensibilität traf mich vieles härter und ich nahm seine krankheitsbedingten Handlungen oft zu persönlich. Auf den Rat von anderen hörte ich kaum mehr. Und ja, ich hätte mich definitiv früher informieren können und sollen, jedoch dachte ich lange Zeit nicht an die anfängliche Diagnose und habe vieles erst lange nach der Trennung verstanden.
Ich habe durchaus auch genug Fehler gemacht. Der Größte war allerdings, dass ich die Reißleine viel zu spät gezogen habe, denn emotional und psychisch war ich nach der Trennung, nach dieser Beziehung, am Ende.

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Schafft man es sich irgendwann aus solchen Verstrickungen zu lösen und sich zu trennen, ist es wichtig spätestens jetzt eine destruktive Beziehung zu erkennen und sich die Situation offen einzugestehen.
Nun ist es wichtig kühl zu analysieren, die unbedingte Toleranz aufzugeben und anzuerkennen, dass jemand den man so geliebt hat, eine untragbare Persönlichkeitsstörung aufweist, die einem gefährlich wird und vor der man sich schützen MUSS. Denn ein detruktiver Partner ist ein Mensch, dessen Vehalten in einer Liebesbeziehung bei dem anderen Gefühle von Depression, Hilfslosigkeit, Kontrollverlust, Ängstlichkeit, bis hin zu Feindseligkeit, Frustration, Zynismus und Unfähigkeit auslöst. Chronische Angstzustände können der Gesundheit auf verschiedenste Weise schaden. Manchmal ist das weg Gehen nichts anderes als Selbstschutz.  Ich verstand langsam, weshalb die Partnerschaft zerbrach und es zur Trennung kommen musste.

An dieser Stelle möchte ich allen, die selbst die Vermutung haben, in einer giftigen Beziehung zu stecken, ein paar Vorgehensweisen zum Erkennen und Handeln mitgeben:

– Ergründe ehrlich (Ist diese Beziehung gesund oder nicht?)
– Denke darüber nach, wie deine anderen Beziehungen (zu Freunden und Familie) sich verändert haben
Erkenne deine Blindheit gegenüber den Fehlern deines Partners
– Achte darauf, was andere von deinem Partner denken
– Halte dein Unterstützungsnetzwerk aufrecht
– Erkenne übermäßige Eifersucht und Besitzergreifen
– Achte auf verschiedene Maßstäbe (Legt dein Partner bei seinem Verhalten einen anderen Maßstab an, als für deins?)
– Achte darauf, dass deine Partnerschaft keine Einbahnstraße ist und das dein Partner nimmt und gibt
– Achte auf Stalking, Bedrohungen oder anderes Verhalten, das dir Angst macht; dazu zählt auch die Drohung Selbstmord zu begehen
– schafft dein Partner regelmäßig Dramen, Chaos und Krisen?
– fehlt es der Beziehung an  der zur Bewältigung von Unsicherheiten nötigen Ermutigung, Stabilität und Verbundenheit?
– besorge dir/dem Partner professionelle Hilfe
– weiger dich, Opfer zu sein
– Höre auf, dich schuldig zu fühlen
– Trenne dich
, wenn es dich zu sehr leiden lässt, wenn es dich kaputt macht

Auch wenn wir uns emotional hingezogen fühlen, können wir einem Gefühl nach einer Trennung gegensteuern, indem wir uns auf die negativen Seiten der Person konzentrieren und uns diese immer wieder ins Gedächtnis rufen, sobald auch nur der kleinste melancholische Gedanke aufkommt. Zudem ist es ratsam, den Kontakt einzuschränken, bzw. noch besser: sogar komplett abzubrechen und somit auch keinen körperlichen Kontakt zuzulassen.

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Auch ich verharrte, wie die Meisten in einer solchen Trennungssituation, eine ganze Weile wie im Schock. Der Herzschmerz stand mir so derart ins Gesicht geschrieben, dass ich mir ein kleines zerbrochenes Herz in das Selbige tätowieren ließ. Und doch nahm ich mir vor die Trennung zu verarbeiten und die Hoffnung aufzugeben, dass mein Ex zurück kommen würde. Das Tattoo diente mir als Abschluss eines Lebensabschnitts und als Erinnerung. Ich versuchte nach dem letzten Kontaktabbruch einfach wieder nach vorn zu sehen. Auch wenn es mich viel Überwindung und Kraft kostete, ging ich ja schlussendlich aus freien Stücken. Und ich möchte ihn auch sicher nicht mehr zurück.

„I think it’s important to realize you can miss something, but not want it back.”

Und mittlerweile? Ich habe akzeptiert – akzeptiert dass es vorbei ist; dass er kein Teil meines Lebens mehr sein wird; dass ich mehr als das verdiene in einer Partnerschaft; akzeptiert, dass es einfach zum Leben dazu gehört hinzufallen und sich wieder hoch zu kämpfen und akzeptiert dass ein Teil von mir ihn immer lieben wird, denn so funktioniert mein Herz nun einmal.

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Und ich bin doch sehr froh sagen zu können: ich fühle mich endlich frei. Langsam, Schritt für Schritt auf immer noch geschwächten Beinen, gehe ich mutig meinen Weg und werde täglich wieder mehr zu mir selbst. Haare und Kleidung trage ich jetzt so wie es mir gefällt und nicht ihm. Aus den auf Tour gesammelten Muscheln fertigte ich Schmuck. Mein Studium habe ich ein Jahr nach der Trennung endlich abschließen können und mein erstes Buch erscheint bald. Dieser Blog hier bringt mir Stärke und neuen Antrieb.
Jeden Morgen kämpfe ich mich auf die Beine, kämpfe gegen Ängste und gegen meine ermüdende Erkrankung. Aktuell wage ich auch endlich den großen Schritt raus aus der ehemals gemeinsamen Wohnung in eine neue Zukunft in einer gänzlich neuen Stadt. Zukunftsperspektiven halten Einzug.

Und ich plane die Tour nochmals abzufahren und mit vielen positiven Erinnerungen zu füllen. Ich freue mich ungemein darauf.

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Und er? Er meldet sich immer mal wieder bei mir. Erst Ostern dieses Jahr kündigte er mir per Mail an, in der Stadt zu sein und fragte, ob ich noch in der selben Wohnung leben würde. Ich flüchtete regelrecht aus Berlin. Auf eine Konfrontation hatte ich keine Lust und womöglich auch noch nicht ausreichend Kraft dafür. Statt ihm über den Weg zu laufen, verbrachte ich ein tolles Wochende mit meiner besten Freundin Chulia in Leipzig.
Bereits zuvor bat ich ihn mich nicht mehr zu kontaktieren, nachdem er mich locker anschrieb, mir irgendwelche Skatevideos schickte, als wär nie was passiert. Ich sagte daraufhin, er solle mich doch einfach in Ruhe lassen künftig. Woraufhin er entgegnete, es gäbe überhaupt keinen Grund ihn so gemein zu behandeln. Ahja. Was will man dazu sagen? Einmal zeigte Instagram bei den „Bildern, die dir auch gefallen könnten“ ein Bild von ihm. Instagram hat sich ja noch nie so geirrt!!! Als ich seine süße Schwester fragte, ob sie weiß, was er an Ostern hier will, berichtete sie mir, er habe den Kontakt zu ihr abgebrochen, das mit den Worten, “er brauche sie nicht mehr, er habe jetzt eine neue Familie“. Na dann viel Glück mit der neuen Familie!

Ich habe bisher noch keine neue Familie. 😉 Meine kleine verschrobene, aber liebenswerte Familie ist noch immer da, mit meinem Frechbert von Bruder, Luke und meiner herzensguten Mum. Meine beste Freundin ist auch noch immer an meiner Seite und mir der größte Halt und wichtigste Mensch. Viele Freunde sind wieder enger an mich heran gerückt als sie die Folgen der Beziehung und Trennung realisierten. Manche alten Freunde traten genau zu dieser Zeit zurück in mein Leben. Schicksal? Man weiß es nicht. Ich selbst hoff bald auch neues Selbstvertrauen und wieder Gleichgewicht verspüren zu können. Bisher ist das alles noch sehr wackelig und Erfolge, meine Fähigkeiten und positiven Eigenschaften sinken einfach nicht richtig in mein Bewusstsein ein. Aber ich wache nachts nicht mehr derart plötzlich angsterfüllt auf und du schlimmsten Panikattacken sind mit ihm aus meinem Leben verschwunden. Ich denke ich bin auf einem guten Weg.

Keiner ist seit dem aufgetaucht, der in mir ähnliche Gefühle hervorrufen konnte, wie er zu Anfang der Beziehung. Vielleicht fehlte mir aber auch die innere Bereitschaft mich jemand Neuem anzuvertrauen nach solchen Verletzungen incl. all den anderen zuvor. Doch gerade vor wenigen Tagen traf ich durch Zufall eines Abends die erste große Liebe meines Lebens wieder, nach ganzen 11 Jahren. Nun…man darf wohl gespannt bleiben…

“Isn’t it strange? There are so many people out there who secretly love someone. And there are so many people out there who have no idea that someone secretly loves them.”

Abschließend möchte ich mich nochmal bei allen lieben Zuschriften bedanken. Es hat Kraft gekostet das Geschehene aufzuarbeiten, aber die richtigen Menschen wurden offensichtlich erreicht. Ich werde mich bemühen alle Emails mit Fragen und Hilfsgesuche zu beantworten. Viel Kraft euch allen, die Ähnliches erlebten oder gerade erleben.
Das ist nur meine Sicht der Dinge, mein Erlebtes – meine Geschichte. “You own everything that happened to you. Tell your stories. If people wanted you to write warmly about them, they should have behaved better.” ― Anne Lamott

Vielen Dank für Alles <3

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