Die Zeiten, in denen Mütter hinter dem Herd standen und Väter das Geld nach Hause brachten, scheinen vorbei. Studien zeigen: In 60 Prozent der Haushalte sind beide Partner berufstätig. Doch die tägliche Herausforderung, Beruf und Kinder unter einen Hut zu bringen, übt großen Druck auf die Eltern aus. Generell besteht heutzutage der Anspruch,
neben Kindern auch arbeiten zu gehen oder zumindest zu studieren. Und das selbst wenn man alleinerziehend ist. Nur die Kindererziehung als Lebensaufgabe – das reicht nicht mehr.
Als Folge dieses hohen Anspruchs an die Multifunktionalität und an Organisationstalent fühlen sich mehr als die Hälfte der Mütter und Väter von der Herausforderung, Familie und Beruf in Balance zu halten, gestresst. So sagt eine amerikanische Studie – Modern Parenthood des Pew Research Centers. Einen Familienalltag neben dem Beruf zu haben, bedeutet tägliche Absprachen mit dem Partner und einen gut organisierten Kalender. Im Anschluss an die unzähligen zeitraubenden Verpflichtungen dürften die erschöpften Eltern erschöpft ins Bett fallen, statt noch gemeinsam mit Freunden ins Kino zu gehen oder sich andere Vergnügungen zu gönnen. Die Zeit für sich selbst bleibt allzu oft auf der Strecke. Als Fazit leidet oft die partnerschaftliche Beziehung oder die Psyche der Elternteile.
Warum ich gerade heute über diese Dinge nachdenke? Das Thema ist so aktuell in meiner Lebenswelt. Mich umgeben Freunde und Freundinnen, die sich alle nacheinander der Familienplanung widmen. Eine meiner besten Freundinnen Ivonni hat erst letztes Jahr Nachwuchs bekommen und schreibt nun seither einen herzzerreißenden Blog über ihre Erfahrungen mit einem Frühchen (www.iftheapocalypsecomebeepme.wordpress.com). Susi, die erst letztes Jahr heiratete, erwartet nun auch bald ihr erstes Kind. Und auch meine Begleitung Eva hier bei meinem 2. Besuch im Roots hat ihre Kleine mitgebracht.
Die kleine Fine ist ein herzliches Kind ohne Berührungsängste. Wir haben uns schon öfter getroffen und verstehen uns sehr gut. Man kann sich auch nur mit ihr verstehen. Mich lieben Kinder aber meistens, womöglich weil ich so bunt tätowiert und gestylt bin und eine stets freundliche Ausstrahlung anstrebe. Es ist nicht leicht eine normale Erwachsenen-Konversation zu führen, wenn man so ein quirliges Menschenkind mit am Tisch sitzen hat. Die heutigen Gespräche drehen sich also um Kuscheltiere und was ich denn da esse und trinke. Fragen über Fragen. Die Antworten scheinen oft nicht von Belang zu sein. Es wird gefragt aus Prinzip, um eine Interaktion zu erreichen, Aufmerksamkeit zu bekommen. Und doch antworte ich bereitwillig.
Und wie sie so fragt und vor sich hin brabbelt, ihr Plüschtier auf meinem Arm rumspringen lässt, komme ich nicht drum rum darüber nachzudenken, wo ich denn gerade in meinem Leben stehe. Ich bin nun auch schon Ende 20 und hatte mir mein Leben in dem Alter einmal anders vorgestellt. Als jugendliche Punkerin und später auch politisch Aktive lehnte ich selbstredend alle gesellschaftlichen Konventionen voller Inbrunst ab. Und doch sehnte ich mich innerlich heimlich nach einem glücklichen, harmonischen Zuhause.
Gegen die Umsetzung solcher Lebensträume stellten sich die grauenvoll schlechten Kompetenzen meiner Partnerwahl. Statistisch betrachtet greift man zwölf Mal daneben. Doch was tun, wenn man scheinbar immer wieder bei den gleichen schlechten Schemata des Auswahlverfahrens landet? Psychologen und Paartherapeuten sind sich einig, „Wer so sein Unglück wählt, trägt tief in seinem Innern immer noch die Überzeugung, dass er nicht liebenswert ist.“ (Professor Wolfgang Hantel-Quitmann). Als Folge wird sich wiederholt für ein Psycho-Muster entschieden, das bestens vertraut ist.
Hinzu kommt noch, dass mein bei der Wahl eines Partners beeinflusst ist von den Eltern und anderen Bezugspersonen der Kindheit. Das passiert vor allem dann, wenn wir als Kinder eine positive Bindung zum gegengeschlechtlichen Elternteil aufgebaut haben. Das kann ich nun wirklich nicht von der Beziehung zu meinem Vater behaupten. Und doch bin ich mir sicher, das mich meine Kindheit dahingehend sehr beeinflusst hat . Vielleicht auch was meinen Selbstwert betrifft.
Wer eine ähnlich kritische Partnerwahl bei sich beobachtet hat, könnte auch von der sogenannten interpersonellen Abwehr betroffen sein. Dabei werden die uns innewohnenden negativen Seiten einfach von einem unpassenden Partner ausgelebt. So dass man selbst die Chance hat, als rein, unschuldig und gut dazustehen – eine Art der Selbststabilisierung.
Nach psychologischen Erkenntnissen wählt man bei dieser Strategie oftmals das Gegenteil von sich – z.B. der Chaot den Ordnungsliebenden, der „Ausgeflippte“ die brave, graue Maus, der Intellektuelle den reinen Gefühlsmensch, der Reisemensch den Stubenhocker, der Verschwender den Geizhals, der Egoist den Selbstlosen, der Täter das Opfer usw. Als Folge und auch Zweck des Ganzen ist es, nicht mehr gegen sein eigenes strafendes Über-Ich zu kämpfen oder gegen eine abgewehrte Lust. Stattdessen wird der schlechte Partner mit aller Kraft bekämpft. Der Fokus auf sich selbst und die eigenen Makel ist nahezu gänzlich verschwunden. Eine interessante Theorie.
Zu all diesen Faktoren spielen auch unbewusste biologische Einflüsse eine Rolle bei der Partnerwahl. Frauen suchen dabei bevorzugt nach einem potenten Alpha-Männchen, dessen Gene sich weitestgehend von den eigenen unterscheiden. Das ist zwar gut für die Kinder, aber doch oft schlecht für die Seele.
“Klasse!“, denk ich mir und schlürfe an meinem Kakaoschalentee, eine Spezialität des Roots-Restaurants. Und auch meine Begleitung könnte ganze Arien singen über die beschriebene Problematik, denn der Erzeuger des kleinen Energiebündels machte sich aus dem Staub, als er von der Schwangerschaft erfuhr. Bis heute übernimmt er keinerlei Verantwortung.
Die Frage die sich für mich hier nun stellt ist, ob es so nicht vielleicht besser ist für meine Freundin, denn er ist offensichtlich kein guter Mann. Sicherlich ist das Leben als Alleinerziehende nicht einfach – das kann und möchte ich nicht leugnen. Und Unterstützung seinerseits wäre wünschenswert und auch oft notwendig. Aber meine Eltern beispielsweise blieben zusammen trotz horrender Beziehungsprobleme. Als Folge verbrachte meine herzensgute Mutti über 20 Jahre mit einem untreuen Egomanen, der Spaß daran hatte sie und uns Kinder zu unterdrücken. Und auch viele meiner Freunde und Bekannten, die sich überschwänglich in Ehen und Verlobungen begaben, sind todesunglücklich in ihrer Beziehung, trauen sich aber nicht sich zu trennen und einen Neuanfang zu wagen. Da haben sich schon einige Dramen abgespielt.
Margarete, einer meiner momentan engsten Freundinnen, dient mir oft als Vorbild, so auch Frauenbild und Rollenverteilungen betreffend. Als ich mich verloren fühlte zwischen Wünschen nach konventioneller Stabilität und Träumen eines ungebundenen, unsteten Lebens, gab sie mir Mut und den Enthusiasmus an meinen Träumen festzuhalten. Das schrieb sie in ihrem neuesten Beitrag auf www.margarete-margarete.de: “Ich will so Frauen damit Mut machen, schwere Wege zu gehen und für ihre Ideen zu kämpfen, auch wenn es bedeutet, dass sie erstmal allein gehen, manchen Verlust hinnehmen und so manch harte Situation allein durchstehen müssen. Mut zu haben, bedeutet Schritte zu machen, auch wenn es unbequem ist und manchmal weh tut.” (->zum Beitrag)
Ein Dasein als digitaler Nomade führt sich nicht, wenn man nur an Konservativem und Althergebrachtem festhält. Nur mit dem Mut auch mal fernab von der klassischen Gesellschaft zu stehen, kann man sich dieses besondere Leben in der Selbstständigkeit aufbauen. Und ich freue mich auf den Weg und bevorstehende Abenteuer.
Fortan wende ich meine Kraft dafür auf, an meiner vollen Genesung zu arbeiten und meine finanzielle Stabilität durch die neuen Arbeitsfelder zu sichern, anstatt mich in zerstörerische Beziehungen voller einseitiger Aufopferung zu begeben. Und wer weiß schon, wer mich am Ende meines Weges überraschen wird, wenn ich dann selbstbewusst und stabil mitten im Leben stehe.
Gehe nicht, wohin der Weg führen mag, sondern dorthin, wo kein Weg ist, und hinterlasse eine Spur.
– Jean Paul
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22 Kommentare auf "Gedanken über Lebensentwürfe im Roots"