Die Energien die man in die Welt sendet, kommen (hundertfach) zu einem zurück. Das wird bereits seit Jahrtausenden behauptet. Diese besagten Energien können mitunter kleine Gesten der Freundlichkeit oder Hilfsbereitschaft sein – unbedeutend und einfach, und doch können sie die Welt für den Anderen bedeuten. Wer hingegen viel negative Energie in die Welt leitet, der wird ständig ähnliche schlechte Reaktionen auf sich ziehen. Dann doch lieber die umgekehrte Version: Je mehr positive Energie wir in die Welt senden, desto mehr erhalten wir zwangsläufig zurück.
Ganz diesem Grundsatz entsprechend ereignete sich diese Geschichte: Vor einer Weile bekam ich eine Anfrage von 2 Facebook-Followerinnen von mir, die sich in Berlin aufhielten und dringendst einen Copyshop suchten. Und so las ich ihre Nachricht, saß dabei in 2m Luftlinie von meinem Drucker entfernt und bot ihnen an, ihre Boardingkarten einfach selbst zu drucken. Die 2 Britinnen befanden sich nur wenige Minuten entfernt von mir. Es schien mir die simpelste Lösung. So traf ich mich mit ihnen wenig später.
Als Dank luden mich auf einen Kaffee im Goodies ein. Ich übergab die benötigten Papiere und gewann auf diese Art neue Freundinnen aus dem schönen England. Beide sind überzeugte Veganerinnen und Tierrechtsaktivistinnen. Also äußerst sympathische Menschen mit ähnlichen Ansichten. Anna, eine der jungen Frauen, ermöglichte mir anschließend sogar ein Sponsoring einer namenhaften tierversuchsfreien Kosmetikfirma. So kann es laufen mit den positiven Energien.
„Kindness. It Doesn’t Cost A Damn Thing. Sprinkle That Shit Everywhere“
Nun ist es ein gutes halbes Jahr her und eine der bezaubernden Mädels ist frisch nach Berlin gezogen. Ich mache mich heute auf dem Weg sie zu treffen. Wie sie da steht – wunderschön, ein zartes Gesicht, hellblonde Haare, vornehmlich schwarz bekleidet. Sie sieht leicht verschüchtert, fast verloren aus dort an der Straßenecke, aber nur wenige Sekunden bis sie mich entdeckt. Sie lächelt. Unser zweites Treffen jemals und wir drücken uns herzlich.
Ich weiß nicht so recht was ich mir für eine Stimmung erhofft hatte bei einem Wiedersehen mit ihr, womöglich eine klassisch Unbeschwerte. Diese hier ist schwermütiger, als man es sich jeh hätte vorstellen können. Wir sitzen wieder im Goodies, auf der Warschauer Straße bei Iced Latte. Sie berichtet mir von den Gründen für ihren Umzug, von den alltäglichen Übergriffen, die sie in Birmingham erleiden musste. Ständig fühlte sie bedrängt und wurde gegen ihren Willen angefasst. Sogar verfolgt wurde Anna. Das Alles selbstredend neben den steten verbalen Anmachen, offenen Bewertungen des Aussehens und dem hinterher Pfeifen auf offener Straße.
Sie bezeichnet dieses Verhalten als die Lad Culture. Den Begriff höre ich zum ersten Mal. Lad steht im Englischen für Kerl oder auch Bursche. Recherchen zeigen die Lads sind eine Kultur der wilden Kerle, wieder hin zu althergebrachten Traditionen des Sexismus und der männlichen Brüderschaft. Entgegen der emanzipatorischen Entwicklung und somit feministischen Ansätzen, entgegen Gleichberechtigung und Menschenwürde. Alkohol, Sport und Sex sind die primitiven, vornehmlichen Interessen, die sie alle teilen und das mit Stolz. Die Lads gelten allgemein als Reaktion auf den postmodernen ‘neuen Mann’, der in aktuellen Magazinen und anderen Medien propagiert wird.
Es gibt sogar eine Homepage auf der die Lads eine Vergewaltigungskultur regelrecht zelebrieren. Recherchiert man weiter, erfährt man von alltäglichen Berichten in englischen Medien über Elite-Studenten, die durch die Straßen Oxfords ziehen und davon singen, junge Mädchen zu vergewaltigen, von Uni-Partys, die Namen haben wie “Vorstandschefs und Businessschlampen” oder “Nerds und Nutten“. Schlussendlich erfuhr ich beim Lesen sogar von einem Uni-Magazin, das in einem Artikel schrieb: Wenn das Mädchen noch nicht willig sei, sollten die Leser bedenken, dass 85 Prozent aller Vergewaltigungen ohnehin nie angezeigt würden. „Nein heißt Ja. Ja heißt auch Ja.“, so deren generelle Herangehensweise, sagt auch meine Gesprächspartnerin. Ich schüttele mit dem Kopf. Es ist unfassbar.
Es ist keine schöne Thematik, oft verschwiegen oder heruntergespielt. Doch wir nehmen uns Zeit und gegenseitige Anteilnahme und reden über alles was wir schon erleben mussten. Ihre Ausführungen werden nicht harmloser im Verlaufe des Gespräches.
Als Konsequenz stellte sie schlussendlich ihre gesamte Tagesplanung um, um sich so gut es ging den Tätern zu entziehen. Sie ließ sich fortan auf dem Arbeitsweg immer begleiten. Aber auch männliche Begleiter helfen meist nicht genügend abzuschrecken, erzählt sie mit gesenktem Kopf. Mehrmals schon wehrte sie sich tapfer in Bars gegen Belästigungen. Den Täter schubste sie dann weg und rief laut, er solle aufhören sie anzufassen. Daraufhin wurde SIE (!!!) jedes Mal von den Securities raus geworfen, als der Störenfried. Er sei doch „nur ein Lad, der etwas Spaß haben möchte. Sie hingegen sei hysterisch oder übertreibe maßlos.“ Ich sage ihr, dass ich glaube, sowas würde in dieser Art hier nicht passieren.
Nichtsdestotrotz muss ich ihr die Euphorie über die neue Wahlheimat ein wenig nehmen. Einer der Hauptgründe warum ich plane Berlin zu verlassen, sind die alltäglichen Belästigungen denen ich in meinem Kiez ausgesetzt bin. Besonders in der Revaler Straße ist es unerträglich geworden. Aggressive Körperhaltung, einschüchternde Gesten – keine Szenen aus amerikanischen Ghettos, sondern Berliner Alltag. Es sind die Dealer die früher im Dunkeln der Grünanlagen Görlitzer Park und Hasenheide ihren Stoff an den Mann brachten. Sie lungern heute am helllichten Tag auch auf den Straßen Friedrichshains herum und belästigen Passanten wie am Fließband. Zu ihnen gesellen sich hemmungslose Partytouristen – eine brisante Mischung.
Ich lehne es schlichtweg ab zu akzeptieren, dass es zu meinem Alltag gehört mich gegen Belästigungen zu wehren. Ich bin des ewigen Kampfes müde und ausgelaugt von dem Stress der Partymeile. Bereits seit 2013 sind Drogenhändler vermehrt aktiv in der Revaler Straße. Es sind demnach nun schon 2 Jahre, die ich täglich Spießruten laufe auf dem Weg zur S-Bahn oder zum Einkaufen im Supermarkt. Viele der Händler treiben sich mittlerweile bereits in den Wohngebieten herum, jenseits der Partyszene, wo normale Familien mit ihren Kindern leben und eben ich.
Tja, und neuerdings auch die sympathische Anna. Ich erkläre ihr die Situation in der Gegend, aber sie weiß schon Bescheid. Berichtet mir von ihren neuesten Vermeidungsstrategien in Berlin, von Umwegen Laufen und Sperrzeiten, wo sie lieber ganz Zuhause bleibt, da sie sich fürchtet in dieser Gegend im Dunkeln. Also das Gleiche wie in ihrer Heimat in grün. Vom Regen in die Traufe.
Ein hyper-maskulines Verhalten, das geprägt ist durch Sexismus, Homophobie und viel Alkohol – Männer und Jungs, die es für cool halten, das andere Geschlecht als Objekt zu betrachten. Ein stetiger Kampf für die, die sich dagegen wehren müssen. Mir bleiben nun 3 Optionen: den schlimmsten Straßenzügen und damit Menschen aus dem Weg gehen, mich der Konfrontation stellen oder eben weg Ziehen.
Ich stellte mich in letzter Zeit den üblichen Tätern der Straße und rief laut, dass sie aufhören sollten mich zu bedrängen. „Why are you such a bitch?“, sagte einer daraufhin. „Why are you fucking harassing me?!“ – „Warum belästigst du mich?“, entgegnete ich. In diesem Moment fuhr eine gut gekleidete Frau mit ihren 2 Kindern auf niedlichen, bunten Anfängerfahrrädern vorbei. Der kleine Junge fragte lauthals: „Mami, warum schreit die Frau so?“ Die Mutter: „Weil der Mann sie nicht in Ruhe lässt und sie sich nicht mehr anders zu helfen weiß.“
Ich entschied mich zum Wegzug. Aber wohin? In einen anderen, ruhigeren Stadtteil? Eine andere Stadt gar? Bereits seit einiger Weile liebäugelte ich mit Dresden. Ich fuhr vermehrt hier her, guckte mich um und ließ die Stadt auf mich wirken. Und nun ist die Entscheidung endgültig getroffen: Ich ziehe nach Dresden!
Die Pegida hat mit ihren Aufmärschen den Ruf der schönsten deutschen Landeshauptstadt gründlich ruiniert. Heute ist sie quasi die Hauptstadt der Bewegung engstirniger Wutbürger. Und so fragen mich auch alle Berliner entgeistert, warum ich beabsichtige in eine solch fremdenfeindliche Stadt zu ziehen. Gerade ich, als Jemand, die immer schon offen Gesicht zeigt gegen Rassismus und andere Diskriminierungen. Aber Dresden ist viel mehr als diese kleingeistige Bewegung Einiger.
Sei Du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“
– Mahatma Gandhi
„Dresden hat mir große Freude gemacht und meine Lust, an Kunst zu denken, wieder belebt. Es ist ein unglaublicher Schatz aller Art an diesem schönen Orte.“
– Johann Wolfgang von Goethe
Eine wunderbare Stadt mit interessanten Menschen und vielen Freunden aus der Heimat, die hier wohnen. Außerdem wohnt mein Luke hier und mit ihm mein Bruder. Dies ist eine Liebeserklärung an meine neue Stadt. Dresden – ich liebe Dich! Ich kann es nicht erwarten dich noch mehr zu erkunden und hier neu zu starten.
„Wann werde ich wieder in den paradiesischen Gefilden wandeln, wann werde ich Dresden wiedersehen?“
– E.T.A. Hoffmann
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14 Kommentare auf "Lad Culture in Berlin"