Dort wo nie die Bürgersteige hochgeklappt werden habe ich ein Zuhause gefunden, inmitten des Chaos. Ja, ich liebe mein Berlin, auch nach all den Jahren. Inspiration und Eindrücke an jeder Ecke, nie Langeweile und all die Chancen, die eine Großstadt einem bietet.
Auf der anderen Seite ist man hier allerdings permanentem Lärm, Hektik und Stress ausgeliefert. Dreck und Staub, Gerüche, beengte Wohnverhältnisse, dichte Menschenmengen und Anonymität sind allgegenwärtig. Diese brisante Mischung kann zu einer echten Belastungsprobe werden und schlussendlich sogar krank machen. So belegen auch aktuelle Studien: Unter Städtern sind psychische Erkrankungen deutlich häufiger als unter Landbewohnern.
Viele Menschen zieht es nun gerade in die großen Metropolen, da dort immer etwas los ist – The city never sleeps. Urbane Gebiete haben ja auch viele Vorzüge. Und nicht jeder, der in der Stadt lebt, wird auch zwangsläufig krank. Ausschlaggebend sind auch noch andere Risikofaktoren und Vorbelastungen. Und doch muss man es eingestehen: die Zahlen lügen nicht! Diese psychischen Belastung schleichen sich langsam ein und drücken sich unter Anderem durch gereizte Stimmung, durch Angespanntheit und Schlafstörungen aus.
Profitieren kann man, wenn man sich dem Metropolenstress immer dann entziehen kann, wenn es einem reicht. Es ist das Gefühl die Kontrolle über sein Leben zu haben, welches essenziell ist für die psychische Gesundheit. Verliert man es, ist man auch den Stressfaktoren der Großstadt mehr ausgeliefert. Wer Symptome einer Überforderung bei sich bemerkt, sollte unbedingt gegensteuern, raten Psychologen.
Ich bin der zahllosen Optionen dieser Stadt müde geworden. „Was kann ich noch machen? Mit wem kann ich mich treffen? Wohin essen Gehen?“ – tönt es in meinem Kopf. Zu allem und jedem gibt es Optionen. Und auch ich bin nur eine Option für all die Menschen, die ich hier kenne. In mir wächst das Bedürfnis die innere Stimme zu finden, die mir mitteilt, was ich wirklich möchte und was ich brauche. Hier scheint es mir nicht möglich diese Stimme zu finden. Das urbane Alltagsgetöse lenkt mich vom wirklich Wesentlichen ab und meine Ängste blockieren mich zusätzlich. Das öffentliche Großstadtleben ist belastend und ich empfinde meine alltägliche Lebenswelt zumeist nur noch als instabil und brüchig.
Ich sollte also für Ausgleich zu meiner Anspannung sorgen. Sport? Yoga? Meditation? Eine Auszeit?
Schon eine ganze Weile habe ich Sehnsucht nach einem Rückzugsort, nach Halt. In mir wächst der Wunsch nach etwas Erdung. Ich entscheide mich dazu Berlin zu verlassen für eine Weile.
Um ein paar Tage Ruhe zu bekommen bin ich in meine beschauliche Heimatstadt Finsterwalde, Brandenburg, gefahren. Zunächst war ich guter Dinge und dachte, dass meine Ängste irgendwie mit meinen Lebensumständen in Berlin zusammen hängen. Dies war ein Trugschluss, wie sich schnell zeigte. Und nun saß ich hier die letzten Tage alleine in der Wohnung und zeterte mit mir, ob ich raus gehen sollte. Tagelang beobachtete ich von früh bis Abend die Wolken durch das Fenster und nahm sie alleine als Grund nicht vor die Tür zu gehen.
Dabei hatte ich doch Pläne. Jeden Tag wollte ich in die Natur gehen – als Kontrastprogramm zu meiner Großstadtheimat, die mich momentan so überfordert. Und doch lies ich mir wieder meine Lebensqualität von Szenarien nehmen, die nur in meinem Kopf existierten. Doch solche Phobien schleppt man nun einmal mit sich herum. Selbst wenn man sie für eine Weile beiseiteschieben kann, kommen sie klammheimlich zurück, immer dann wenn man nicht mit ihnen rechnet.
Doch heute nicht! Heute packe ich meine Tasche mit meinem mobilen Arbeitsplatz und mache mich auf den Weg zur Bürgerheide – eine Art große Festwiese mit gleich anliegendem, wunderschönem Waldgebiet. Nun sitze ich hier und schmunzel in mich herein, denn ich könnte gerade nicht glücklicher sein. Ich baue meine Technik auf, stell die Musik an und bekomme die Gewissheit heute mal alles richtig gemacht zu haben. Die Gräser und Blumen stehen Kniehoch und ich sitze dazwischen. Ich fühle mich ganz klein hier. Entfernt spielen ein paar Kinder, die man aber kaum hört. Grillen und Vögel zwitschern vor sich her und ich fühle mich in meine Kindheit zurück versetzt.
Zuckerschoten, Erdbeeren vom Spreewaldshop und Blaubeeren hab ich mir mitgebracht, für den Fall, dass mich der kleine Hunger überkommt. In meiner mobilen Musikbox läuft beiläufig Ben Howard mit seiner entspannten Surfer-Musik, der es immer wieder schafft mich zum Träumen zu bringen. So geschieht es auch dieses Mal und ich denke an meinen großen Wunsch einmal mit einem VW-Bully die Strände der Welt entlang zu fahren und dort zu halten wo es mir beliebt, zu arbeiten wo ich möchte. Kehre ich für eine Weile in meine Homebase zurück, hätte ich gerne einen kleinen alten Fiat500 für das Stadtleben. Noch ist das alles fern, aber derart Träume treiben mich an.
Dieser Rückzug war reine Notwehr. Und ich versuche diesen Tag nun auch in all seiner Schönheit auszukosten, denn ich bin dankbar für diese kleinen Glücksmomente. Die Sonne scheint durch die im Wind wiegenden Blätter und ich spüre wie die Wärme in Wellen auf mich ausstrahlt. Die Erdbeeren sind so süß und saftig. Das Gras kitzelt an den Füßen. Ich nehme mir die Zeit wirklich hinzusehen, zu fühlen und die Natur zu hören.
Das was wir manchmal so dringend brauchen, als Gegenpol zur täglichen Hektik und Überforderung der Sinne, ist oft nur ein flüchtiger Moment wie dieser – ein paar Stunden Ruhe und Natur. Wer persönliche Belastungen erkennt, kann sie auch mindern. Ein gutes Stressmanagement kann helfen. Ein Umzug in ländliche Gefilde kommt für mich jedoch nicht in Frage, denn auch auf dem Land ist nicht alles pure Romantik. Zudem liebe ich das Stadtleben und schätze es viele unterschiedliche Menschen um mich zu haben. Besser ist es eh, sich bewusst zu machen, was die eigenen Bedürfnisse sind und dann die Stadt neu für sich zu entdecken. In meinem speziellen Fall genau so, wie ich es bereits begonnen habe mit diesem Blog. Ich nehme euch mit auf meine Entdeckungsreise.
An diesen Ort hier in all seiner Schönheit werde ich zurück kommen und ihn noch ein paar Tage genießen, um dann wieder in die Stadt zurück zu kehren. Verdrängung ist nämlich keine Lösung. Ich muss zurück in meine Wirklichkeit und meinen persönlichen Weg finden.
Meine Lektion des Tages: “Was wirklich lärmt und Krach macht, sind die Gedanken und Gefühle. Lärm ist die Unruhe der Seele.” Deshalb sei die Sehnsucht der Menschen nach Stille eher der Wunsch nach innerer Ruhe, so Buchautorin Sieglinde Geisel.
Strebe nach Ruhe, aber durch das Gleichgewicht, nicht durch den Stillstand deiner Tätigkeit.
– Johann Christoph Friedrich von Schiller
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13 Kommentare auf "Stadt, Land, Stress – Ich bin weg!"